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Hübbe-Schleiden: Swedenborg^ Seherscbaft. 405
ist vom 11. April 1775 datiert, also freilich 14 oder 15
Jahre nach dem Ereignis, aber solcher Zeitverlauf von
alltäglichem Leben hätte höchstens dazu dienen können,
das Ungewöhnliche des Vorgangs zu verblassen und das
Wunderbare weniger glaubhaft erscheinen zu lassen.
Kiesewetter glaubte annehmen zu dürfen, daß in
diesem Falle Swedenborg den Fundort der verlegten
Quittung des de Marteville hellsehend erschaut hätte,
und daß seine Vision des verstorbenen de Marteville
selbst nur eine unwillkürliche Hypostasierung aus Swedenborg
^ eigener Psyche gewesen sei. Durch diese
Nachricht Kiesewette r's hat sich Du Pre 1 auch in
seinen letzten Lebensjahren beeinflussen lassen, und er trägt
in einem posthumen Aufsatze „Kant und Swedenborg
* seine Version derselben Ansicht vor.*)
Auch Du P r e 1 nimmt nur ein Hellsehen Swedenborg
^ an und erklärt dessen Vision des verstorbenen
de Marteville als einen sich dramatisierenden
Wach -Traum Swedenborg 's.
Beiläufig sei hier bemerkt, daß wenn diese gezwungene,
hyperphantastische Erklärung irgendwie stichhaltig wäre,
dadurch Du Pre 19s ganze Lebensarbeit vollständig entwertet
werden würde. Diese Ansicht, wie sie hier D u
P r e 1 und Kiesewetter vortragen, ist die von Eduard
von Hartmann stets vertretene;**) und eben
diese hat Du Prel sein ganzes Leben lang bekämpft.
Dies sehr mit Grund und Recht; denn sie ist ganz unhaltbar
für den, der mit solchen Tatsachen praktisch vertraut ist.
Entweder Hellsehen oder Telergie,
Zunächst ist festzustellen, daß ja jede geistige Verbindung
mit Verstorbenen stets eine „Telepathie* ist;
es ist eine direkte Mitteilung von Gedanken ohne die Vermittlung
von physischen Sinnen. Dies nennt Kiese-
w e 11 e r „Hellsehen*. Stellt sich dabei das Bild des Verstorbenen
dem Uberlebenden anschaulich dar, so ist
dies eben das, was technisch eine Halluzination genannt
wird. Bei den Sinnes-Wahrnehmungen geht der
Vorgang von dem Sinnes-Zentrum aus und wirkt auf das
Wahrnehmungs-Zentrum. Bei der Halluzination dagegen
geht der Vorgang von dem inneren Wahrnehmungs-Zentrum
*) Abgedruckt ist dieser Aufsatz als der letzte (XII te) in der
2. Auflage seiner „Studien aus dem Gebiete der Geheimwissenschaften
; Tatsachen und Probleme". (Leipzig 1905, S. 261—278.)
**) E. v. Hartmann: „Der Spiritismus", Leipzig, 1885, und
„Die Geisterhypothese", Leipzig, 1891.
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