http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1911/0429
v. Schnellen: Naturwissenschaft, Seelenlehre und Metaphysik. 425
Die Naturwissenschaft hat es also doch mit der Erkenntnis
physischer Realitäten zu tun, d. h. mit der Erkenntnis
einer selbständigen, außerhalb des Bewußtseins für
sich bestehenden Wirklichkeit. Und wenn wir dies behaupten
, so tibersehen wir durchaus nicht, wie Kleinpeter
meint, die psychische Beschaffenheit aller unserer Erlebniste
(S. 59). Im Gegenteil: wir halten durchaus daran fest, daß
der ganze Inhalt unserer Erfahrung subjektiver, psychischer
Natur ist (S. 23). Die Wissenschaft „kann als wirklich gegeben
nur die Empfindungen und Vorstellungen in uns betrachten
, während die Gegenstände außer uns nur eine
hypothetische Konstruktion sind" (S. 22). Die Anschauung
des gemeinen Mannes von der direkten Wahrnehmbarkeit
einer außerbewußten Körperwrelt ist in der Erkenntnislehre
nicht festzuhalten (S. 144). Und das Gleiche gilt
von der Ansicht W u n d t9 s, der jede Erfahrung in einen
uns gegebenen Inhalt und in unsere Auffassung dieses Inhaltes
zerlegt und auf Grund einer solchen nachträglichen,
erst durch die Reflexion hinzugebrachten Unterscheidung
den Glauben an die unmittelbare Wahrnehmung äußerer
Gegenstände retten möchte (S. 144). Nur „indirekt durch
Vermittelung unserer Sinnesorgane* erhalten wir Kunde
von fremden, außer uns daseienden Körpern (S. 96). Und
auch von unserem eigenen Körper gilt das Gleiche: auch
von diesem bekommen wir keineswegs, wie Kleinpeter einmal
behauptet (S. 96), außer auf indirekte Weise auch noch
„direkte Kunde durch unsere eigenen Bewußtseinszuständc%i
(S. 96). Denn diese Bewußtseinszustände sind eben keine
physischen Realitäten (S. 30), sondern nur deren Wirkungen
oder Begleiterscheinungen (S. 19). Und das ganze Reich
des physischen Geschehens, die ganze Körperwelt mit Einschluß
unseres eigenen Körpers ist somit „eine hypothetische
Konstruktion* (S. ü2; 95 — 96). Die hinter den Erscheinungen
(des Bewußtseins) liegenden Dinge, die unsere
Empfindungen hervorrufen, sind uns nicht gegeben, sondern
sie stellen ein bloßes Gebilde unserer Phantasie vor
(S. 144). —
Soweit hat der Phänomenalismus unbedingt Recht.
Unrecht aber hat er, wenn er nun, die Grenzen der Erkenntnis
ohne weiteres mit den Grenzen der Erfahrung
verwechselnd (S. 18; 43), der Vernunft dogmatisch
jedes denkende Hinausgreifen über die subjektive
Erscheinungswelt des Bewußtseins verbietet (S. 43; 144)
und, im Widerspruch mit seinen eigenen Worten und
Taten, die Annahme einer Welt von Dingen an sich hinter
jenen subjektiven Erscheinungen unseres Bewußtseins für
28
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1911/0429