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v. Schnellen: Naturwissenschaft, Seelenlehre und Metaphysik. 427
die Sinnendinge oder Objekte der sogenannten äußeren
Wahrnehmung und die Gebilde unserer Phantasie, in
gleicher Weise rein psychische Tatsachen (S. 23; 94): subjektiv
-ideale Erscheinungen eines bestimmten Bewußtseins
oder seelische Erlebnisse eines einzelnen Ich. Aber während
ich die einen willkürlich erzeugen und ebenso wieder
verschwinden lassen kann, sind mir die anderen ohne mein
Zutun, ja selbst gegen meinen Willen gegeben und fordern
zu ihrer Erklärung gebieterisch die Annahme einer außerbewußten
Welt wirklicher Dinge an sich, die sie durch ihre
Einwirkung auf meinen, derselben Außenwelt angehörigen
Leib in meinem Bewußtsein auslösen.
Und nur mit dieser außerbewußten Welt wirklicher
Dinge und Vorgänge hat es die Naturwissenschaft
zu tun, aber nicht mit irgend welchen Empfindungen oder
sonstigen seelischen Erscheinungen unseres Bewußtseins.
Die bilden für den Naturforscher nur den Ausgangspunkt
oder die Erfahrungsgrundlage, an der er seine Theorien
immer wieder neu prüfen kann (S. 15); diese Theorien
selbst aber handeln von einer wirklichen Welt außerhalb
des Bewußtseins, die als solche selbst jeder unmittelbaren
Erfahrung entrückt ist. Das muß selbst dem Laien bei
einigem Nachdenken unbedingt einleuchten. Oder wäre
die wirkliche Sonne, vonf der mir die Astronomie erzählt,
etwa jene kleine glühende Scheibe, die ich jetzt zeitweilig
während einiger Minuten im Bewußtsein habe? Nein, die
wirkliche Sonne der Naturwissenschaft ist etwas ganz
Anderes: sie ist eine ungeheure materielle Masse, die,
20 Millionen Meilen von mir entfernt, ganz unabhängig von
meiner subjektiven Wahrnehmung an sich da ist und durch
die von ihr ausgehenden Lichtstrahlen oder Ätherwellen
in mir nur die Empfindung einer glühenden Scheibe hervorruft
. Und genjau ebenso steht es mit den Lehren der
Geologie, der Physik, der Chemie, der Physiologie usw.:
sie alle haben nur dann einen vernünftigen Sinn, wenn sie
auf eine außerbewußte, an sich daseiende Wirklichkeit bezogen
werden.*) Die Naturwissenschaft hat den
transzendentalen Realismus in der Erkenntnislehre zur
Voraussetzung. Und das Gleiche gilt von der Psycho-
*) Man versuche nur einmal, die physikalisch - physiologische
Theorie der Sinn eswahr nehmung auf den Boden des
Phänomenalismus zu übertragen: es ist einfach unmöglich. Denn
es würde uns dahin führen, das im Bewußtsein auftauchende Wahrnehmungsbild
eines äußeren Gegenstandes zugleich für die Quelle
des physikalischen Eeizes, also für die Ursache seiner eigenen Ursache
auszugeben! —
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