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v. Schnehen: Naturwissenschaft, Seelenlehre und Metaphysik. 429
ist von außen erfahrener Wille, der Wille von innen betrachtete
Kraft.*) Und auch die Naturerscheinungen sind
so für das philosophische Denken „Willensäußerungen eines
Geistes* (S. 145): nur freilich nicht Äußerungen eines bewußten
, sondern solche eines unbewußten Geistes. Denn
als das Jenseit alles Bewußteins ist die Natur, die Materie
notwendig auch unbewußt. Bewußt ist nur die subjektiv
ideale Erscheinung der Materie in unserem Geiste; die
wirkliche, objektiv reale Materie aber, mit der allein es
die Naturwissenschaft zu tun hat, ist unbewußt.
Dieser Einsicht kommt auch Kleinpeter sehr nahe,
wenn er bei Besprechung des Verhältnisses von Naturwissenschaft
und Seelenlehre (S. 94—95) schreibt: „Haben
wir einmal den Begriff der Materie gebildet, dann müssen
wir auch zwischen bewußter und unbewußter Materie unterscheiden
und dann gehört die Erforschung aller Umstände,
durch die sich die erstere in charakteristischer Weise von
der letzteren unterscheidet, einer besonderen Wissenschaft,
der Psychologie, an." Denn aus diesen Worten ergibt sich
doch notwendig der Schluß, daß die Naturwissenschaft
ihrerseits es nur mit der unbewußten, aber nicht mit
der bewußten Materie zu tun hat. Und das ist gewiß
richtig. Nur dürfte es sich empfehlen, das Wort „Materie"
dann bloß für die unbewußte, wirkliche Materie zu gebrauchen
, die bewußte, sinnlich angeschaute Materie aber
als „Stoff* zu bezeichnen. Denn dadurch beugen wir am
besten allen phänomenalistischen Irrtümern oder Rückfällen
in den naiven Realismus vor. Und wir können nun mit
Ed. v. Hartmann sagen: der Stoff ist das sinnliche Anschauungsbild
oder die subjektiv ideale Erscheinung der
Materie im Bewußtsein, die Materie dagegen das wirkliche
, #> außerbewußte „Ding an sich* des Stoffes. —
Übrigens ist noch daran zu erinnern, daß auch die
Annahme einer Mehrzahl von denkenden Wesen
oder Ichen schon einen entschiedenen Bruch mit den
phänomenalistischen Dogmen bedeutet. Denn wenn wirklich
alles, was nicht selbst Teil meines Bewußtseins ist
oder werden kann, auch jenseits der Grenzen meiner Erkenntnis
läge (S. 18) und darum für mich überhaupt keine
Bedeutung beanspruchen könnte (S. 43), dann wäre ich
eben allein auf mich selbst angewiesen und der Solipsismus
wäre praktisch wie theoretisch der einzig richtige Stand-
*) Zu dieser Auffassung bekennt sich, ohne ihren rein metaphysischen
Charakter zu ahnen, übrigens auch Mach in seiner
„Mechanik*, 4. Aufl., S. 493 u. a.
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