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430 Psychische Studien. XXXVIIL Jahrg. 7. Heft. (Juli 1911.)
punkt. „Die Annahme fremden Bewußtseins/ sagt Kleinpeter
selbst, „ist eine solche, die sich nie durch Erfahrung
bestätigen läßt14 (S. 42). „Ich weiß zunächst garnicht, ob
es außer mir überhaupt noch andere Iche gibt* (S. 43).
Ich kann es immer nur annehmen. Allerdings hält sich
diese Annahme, im Gegensatz zu der einer unbewußten
Materie (S. 33; 95), noch auf dem Boden des Bewußtseins
überhaupt (S. 42). Ich verwende bei ihr nur erfahrbare,
bewußt seelische Elemente (S. 42) und erkläre so das Unbekannte
durch das Bekannte (S. 31). Aber dessen ungeachtet
bleibt ein jedes fremde Bewußtsein für mich doch
ein transzendentes „Ding an sich", das ich mir wohl „vorstellen
*1 oder abbildlich vergegenwärtigen, aber nie selbst
einfangen, nie durch unmittelbare Erfahrung kennen lernen
kann. Und wenn „von etwas zu reden, das nie Gegenstand
meines Bewußtseins werden kann*, wirklich „ganz und gar
sinnlos" wäre (S. 40), dann wäre es eben auch sinnlos, von
einem fremden Ich zu reden. „Theoretisch berechtigt" ist
„die Annahme fremder Iche und anderer ichartiger Vesen"
(S. 31) nur dann, wenn das grundlegende Dogma des
Phänomenalismus falsch und der von diesem verpönte
„Begriff der Existenz an sich* (S. 7; 41) wissenschaftlich
zulässig ist. Und er muß zulässig sein, wenn nicht alle
Wissenschaft ein Ende haben soll. Ich muß notwendig
außer mir noch andere denkende Subjekte oder ichartige
Wesen gleich meinem eigenen annehmen, durch deren Zusammenarbeiten
überhaupt erst das, was wir Wissenschaft
nennen, zustande kommt (S. 43; 58). Und wenn ich von
diesen fremden Bewußtseinswesen oder außer mir an sich
daseienden Ichen (ichlichen „Dingen an sich") überhaupt
irgend etwas erfahren und mit ihnen gar in Gedankenaustausch
treten soll, dann kann es immer nur mittelbar
geschehen: durch eine transzendente, die Grenzen meines
Bewußtseins sowohl von außen nach innen, wie umgekehrt
überschreitende Kausalität. Denn der Glaube, daß ich
irgend welche fremden Iche und deren Einwirkung auf
mich unmittelbar wahrnehme oder erfahre (S. 145), ist
eben eine naiv realistische Täuschung (S. 21). *)
*) Daß Kleinneter in Widersprach mit »seiner eigenen Annahme
fremder Iche doen noch den Begriff eines „Dinges an sich* für
„unmöglich" erklärt (S. 7), hat wohl seinen Grand daiin, daß er,
ehenso wie Mach, diesen erkenntnistheoretischen Begriff des „Dinges
an sich41, der nichts weiter besagt als ein von meiner subjektiven
Wahrnehmung unabhängiges Sein, einfach mit dem metaphysischen
Begriff der „Substanz*, d. h. des völlig unbedingten, unentstandenen
und unveränderlichen Seins, verwechselt.
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