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434 Psychische Studien. XXXVIII. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1911.)
hier das Urteil zu fällen. Die Leiter der „Urania* wird
kaum ein Vorwurf treffen können. Denn schwer nur sind
von den Lernbegierigen die Neugierigen zu unterscheiden.
Und Vorführungen, die auf ein Publikum rechnen, das am
Fortschritt der medizinischen Wissenschaften Anteil nimmt,
können es nicht vermeiden, daß sich auch manch Unberufener
einfindet, der einem Nervenarzt scharf auf die
Finger sieht, als gälte es von ihm die schwarze Kunst zu
erlernen, und der Hypnotismus mit Okkultismus
und Spiritismus verwechselt, jener verschnörkelten
Magie, die, unserer verständigen, kühl denkenden
Zeit zum Trotz, in den vornehmen Salons schon seit geraumer
Weile ihr gespenstiges Wesen treibt.
Der Spiritismus ist nämlich eine Art schreckhaften
Gesellschaftsspiels geworden, das merkwürdigerweise zugleich
mit dem nüchternen Bridge das Interesse der Leute
von Welt an sich riß und sich neben diesem klugen, harmlosen
Zeitvertreib wie ein seltsam dämonischer Zwillingsbruder
behauptet. Ein Stück Mittelalter paradiert im
modernen Gewände. Wie man sich früher in den Frauengemächern
beim Spinnrocken allerhand prickelnde Spukgeschichten
erzählte, so vergnügt man sich jetzt im verdunkelten
Zimmer an Tischrücken und Geisterbeschwören,
und eine liebenswürdige Hausfrau, die sich um das Amüsement
ihrer Gäste bemüht, trägt dafür Sorge, daß jeder
einzelne auch richtig das Gruseln erlerne. Man befragt
Dante um seine Meinung über das Buch der Saison und
Ninon de Lenclos über die letzte Hutmode. Die gefälligen
Geister geben dann ihre Ansicht durch geheimnisvolles
Klopfen bekannt, dem alle andächtig lauschen. Es gehört
zum guten Ton, neben einem Handbuch über das Bridgespiel
auch Papus und du Prel gelesen zu haben, die für
den Spiritismus Dasselbe bedeuten, wie etwa Dufresne für
das Schachspiel und der kleine Plötz für die Anfangsgründe
im Französischen. Da erfährt man denn, daß der
Mensch nicht nur aus Leib und Seele bestehe, wie man
bisher meinte, sondern daß die Seele noch von einem
dritten Element getragen werde, dem Astralkörper. Um
eine Analogie des großen Papus zu gebrauchen: der
Mensch gleicht einem Gespann, bei dem der Geist den
Lenker, der Leib den Wagen und der Astralkörper das
Boß, den Träger der Kraft, vertrete. Wer dieses Einmaleins
nicht beherrscht, muß stets gewärtig sein, auf dem
glatten Boden einer mondänen Konversation auszugleiten;
er wird sich wie ein tölpelhafter Bauer in höfischer Gesellschaft
ausnehmen. Es gibt Damen, die es verzeihlicher
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