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438 Psychische Studien. XXXVIII. Jahrg«. 7. Heft. (Juli 1911.)
sonst gewiß jeder Vordringliehkeit ausweichen, halten jetzt,
von stürmischem Beifall begrüßt, aufrührerische Reden;
hier und dort blickt man in flackernde Augen. Aber je
lauter und wirrer der Lärm tönt, desto deutlicher wird es
einem klar, daß es not tut, ihn einzudämmen. In einem
gefährlichen Spiel scheinen sich alle diese Menschen
verloren zu haben, gegenseitig hypnotisieren sie sich, geraten
in Ekstase und wissen nicht, warum. Wie ein lästerliches
Zerrbild auf alle großen Emotionen der Masse erscheint
dieses Spiel auf alle die Tapfern, die irgendwo und
irgendwann von einem zündenden Wort, einer Geste berauscht
, auf Barrikaden standen und sich empörten, weil
man ihnen einen tief erlebten Glauben nahm, ihnen ein
scaönes Wunder zerstörte.
Wir leben in einer seltsamen Zeit, die Gläubigsten beginnen
zu zweifeln und die größten Zweifler sehnen sich
nach dem Glauben, verlangen nach Zeichen und Wundern;
doch auf Irrwegen suchen sie ihnen nahe
zu kommen. Der hypnotische Schlaf verwirrt die Gemüter
, weil er willkürlich hervorgerufen werden kann.
Aber ist es nicht weit seltsamer, daß uns in jeder Nacht
aufs neue milde, erquickende Träume umfangen? Dünkt
es kein mächtigerer Zauber, daß ein Genius über die Jahrhunderte
, über die Jahrtausende hinweg es vermag, unstete
Menschen, ein Buch in der Hand, festzubannen, daß ihr
gebändigter Körper regungslos, bewegungslos zurückbleibt,
während ihr befreiter Geist durch Raum und Zeit schwebt?
Weil ein Wille den anderen bezwingt, soll man sich an
Magie zu glauben bequemen, und doch nimmt es jeder als
etwas ganz Selbstverständliches hin, daß der menschliche
Gedanke auf klingenden Drähten über den ganzen Erdball
rennt und die Welt beherrscht. Man ist so leicht bereit,
der Natur seine Reverenz für Geringfügigkeiten zu erweisen
, die man auf natürliche Weise nicht zu erklären
vermag, und doch ist nichts erstaunlicher, als daß alles,
was hienieden geschieht, auch wirklich geschehen muß,
erscheint nichts wunderbarer, als daß es eben kein Wunder
gibt. Paul Zifferer/
Obwohl dieser Aufsatz, dessen Verfasser es unternimmt
, den Okkultismus einer abfälligen Kritik zu unterziehen
, nichts Wissenswertes über diesen Gegenstand enthält
, so ist er doch insofern lehrreich, als er uns zeigt, mit
wie wenig Kunst die Presse die öffentliche Meinung beherrscht
.
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