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Maier: Ein schwäbischer „Heiler von Gottes Gnaden". 443
eines guten Familienvaters war Besondere Hervorhebung
verdient die große Uneigennützigkeit, mit der er seine
Kraft und Gabe in den Dienst der leidenden Menschheit
stellte. Arme gingen vorweg frei aus. Aber auch von
Bemittelten ließ er sieh nur einen lächerlieh kleinen Entgelt
gefallen, obwohl er durch nichts gehindert gewesen
wäre, mehr zu nehmen. Anstatt des bescheidenen Wohlstandes
, den er zu genießen hatte, wäre es ihm leicht möglich
gewesen, zu wirklichem Reichtum zu gelangen, wenn
nicht Erwerbssucht seinem Herzen gänzlich ferngelegen
hätte! — Mehr und mehr seufzte er schließlich unter dem
vielen Zulauf und klagte, warum gerade ihm diese Plage
habe zufallen müssen. Auch die damit verbundenen
körperlichen Beschwerden setzten ihm zu, zumal er keine
robuste Natur war und vielleicht schon von Entbehrungen
und Anstrengungen der Jugend her an einem Magenübel
litt, das ihn nur infolge der großen Mäßigkeit und Ordnung
der Lebensführung das Alter von 69 Jahren erreichen ließ.
Die Influenza nahm ihn letzten Winter hart mit, und über
seinen eigenen Zustand nicht minder klar als über den von
anderen, sagte er schon im Februar, daß der Mai ihn fortnehmen
werde. Nun ist er nicht mehr! Aber innerhalb
und außerhalb unserer Gemeinde wird man noch viel von
ihm reden — und auch mls Beitrag zu der viel erörterten
und nicht leicht zu lösenden Frage der Naturheilmethode
und der Naturheilkünstler dürfte in Hinsicht auf das
kommende „KurpfuschergesetzK dieser Bericht über ihn
willkommen sein.* Von seinen beiden Söhnen ist der eine
Tierarzt, während der andere die Heilpraxis nebst den
Büchern und Aufschrieben seines Vaters übernommen hat.
Noch weitere Erinnerungen an den Dußlinger „Balthes*
teilt der „Schwarzw. Bote* mit: „Die Nachricht von dem
Tode dieses weit und breit bekannten Mannes wird überall
mit dem größten Bedauern aufgenommen werden. Jakob
Dieter, oder „s* Dußlinger Maale", wie er namentlich in
der Rottenburger und Horber Gegend genannt wurde, besaß
das Vertrauen des Landvolkes im höchsten Grade. Für
Mensch und Vieh holte man seinen Bat und seine Hilfe.
Wurde bei Krankheitsfällen auch ein praktischer Arzt beigezogen
, aber „s' Dußlinger Maale* mußte doch noch gefragt
werden, was er meine und rate. Kein Wunder, daß
man in den letzten Jahren im „Sternen" in Tübingen kaum
mehr zu ihm kommen konnte. Dort kam er nämlich jeden
Freitag hin, und wer nicht beizeiten da war, der mußte
stundenlang warten, bis die Reihe an ihn kam. Interessant
war, wie der so klug aussehende Mann mit seinen Patienten
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