http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1911/0501
Stern: Anzeigen Sterbender vor ihrem Tode. 497
mit ihren Formeln, Maßen, Gewichten und Zeiteinheiten
gegenüber gewissen telepathischen Wirkungen der Seelenkräfte
ganz ohnmächtig bleibt.
Es gab eine Zeit, da ich darüber lachte, wenn man mir
erzählte, ein ferner Sterbender habe seinem Freunde oder
einem nahen Verwandten seinen Tod telepathisch angezeigt
. Ich weiß heute, daß dies nicht nur möglich ist,
sondern in meiner nächsten Umgebung tatsächlich öfters
der Fall war.
Zwölf Jahre zurück. Samstag Abend. Auf einer Studentenkneipe
in Heidelberg ist alles animiert. Ein fröhlich
jr Cantus ist soeben ausgeklungen. Da steht ein junger
Berliner auf, der lebenslustigste unter allen. Sein eben
noch gerötetes Gesicht ist wachsbleich geworden, die Nase
spitz, die Augen sind starr und aufgerissen. „Ich muß, ich
muß nach Hause fahren, es ist etwas passiert/ drängt er.
Die anderen machen sich über ihn lustig, suchen ihn von
seinem unsinnigen Vorhaben abzubringen. Es hilft alles
nichts. — In der Tat, zur selben Zeit ist die Schwester
des Studenten, ein blühendes Geschöpf, in Berlin gestorben.
Sie war auf einem Balle, hatte soeben flott getanzt. Zu
starke Schnürung hatte einen plötzlichen Schlaganfall zur
Folge. —
Mein eigener Bruder erzählte mir: Ich fuhr an einem
Sonntagmorgen, es war ein schöner Tag, über Land. Da
plötzlich hörte ich einen lauten Knall; es war mir, wie
wenn ich selbst von einer Kugel getroffen worden wäre.
Eine innere Unruhe packte mich, ließ mich nicht mehr los.
Es zog mich mit aller Gewalt nach Hause. Ich ließ den
Kutscher umkehren und das Tempo beschleunigen. Zu
Hause angelangt, fand ich ein Telegramm vor, das mich zu
meinem Sohne in eine mitteldeutsche Stadt rief. Dieser
hatte, ein 14jähriger Bursche, den Kevolver unvorsichtig
gehandhabt, der sich entlud und seinen Tod verursachte.
Die Entfernung zwischen Vater und Sohn betrug zur angegebenen
Zeit 250 Kilometer Luftlinie. —
Einige Fälle seien aus einem glaubwürdigen anthropologischen
Werke*) aus dem Jahre 1803 mitgeteilt: Zwei
Jünglinge studierten in Leipzig zusammen und, da ihr
Temperament und ihr Charakter mit einander harmonierten,
so schlössen sie sich an einander an und wurden endlich
sehr vertraute Freunde. Ihre freundschaftlichen Unter-
*) Wir bitten unsere verehrten Mitarbeiter dringend, bei derartigen
Anführungen immer genau den Titel des Buches, Namen
und Stand des Gewährsmanns usw. anzuführen. Ohne solche Details
bind die Angaben wissenschaftlich nicht verwertbar. — Red.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1911/0501