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Literaturbericht.
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und Effekt der drei Seinsformen: so erscheint das Wesen der Sub-
manenz (Gottheit) als Prinzip in der Majestät, als Prozeß in der
Wahrheit, als Effekt in der Liebe; das Wesen der Immanenz (Seele)
im Willen, welcher als Prinzip der selbstbewußte, spontane Motor,
im Prozeß der erkennende und empfindende Motus, im Effekt das
vorstellende und empfindende Motiv ist. Der Motor oder der Wille
an sich „ist das Wesen des absoluten Ich, welches den inneren Gehalt
der Seele als solche mit ihrem psychischen und axiologischen
Selbstbewußtsein und Selbstempfinden ausmacht. Es folgt daraus,
daß die Prozeßkraft der Seele ihre historische Bedingung im Dasein
ist . .. Die verschiedenen Neigungen und Anlagen der Seele beim
Beginn des Erdenlebens sind augenfällige Ausdrücke früheren Da-
.seins. Jede andere Erklärung dieser seelischen Ausdrücke ist logisch
unmöglich . . . Eine historische Erinnerung an ein vergangenes
Leben hat keine logische Berechtigung ... Die Kenntnis
von vorausgegangenen Zuständen würde aus submanenten Gründen
die Seele mit unaussprechlichem Kummer erfüllen." Nach Art
dieser kurzen Probe auch nur die Hauptgedanken des Buches
wiederzugeben, ist nicht möglich. Es erinnert in seinem Inhalt und
namentlich in seiner Form an die Schriften Swedenborg's, in seiner
subtilen und prägnanten lateinischen Terminologie an die Scholastik
. Wemekke.
Die Grundlagen der angewandten Geometrie. Eine Untersuchung über
den Zosammenbang zwischen Theorie und Erfahrung in den exakten
Wissenschaften. Von Dr. Hugo Dingler. Leipzig 1911,
Akademische Verlagsgesellschaft (160 S. gr. 8°. Preis 5 M.).
Mit der angewandten Geometrie oder der Geometrie des wirklichen
Raums beschäftigt sich ausdrücklich nur das letzte Drittel
dieser scharfsinnig geführten, aber äußerst schwierigen Untersuchung
. Die ersten zwei Drittel betreffen das Problem im allgemeinen
und die Theorie der angewandten Mathematik, insbesondere die
Frage nach der Genauigkeit, mit der unsere mathematisch-logischen
Sätze auf die Wirklichkeit angewendet werden dürfen. Die euklidische
Geometrie stellt ein rein logisches Gebäude dar. Sie ist auf
Axiome gebaut, welche (nach Poinear£) konventionelle, jedoch nicht
willkürliche Festsetzungen sind. Die Giltigkeit ihrer Sätze — zunächst
des „Parax" (Parallelenaxioms) — für den wirklichen Baum
ist seit Gauß ein Gegenstand der Erörterung gewesen. Die Messungen
, die darüber entscheiden sollten, haben ergeben, daß in unserem
Räume die euklidische Geometrie innerhalb der momentanen Mess-
ungsgenauigkeit gilt. Die Abweichung der hierbei benutzten Apparate
von den theoretisch vorausgesetzten kann entweder manuell
oder rechnerisch beseitigt, oder es kann ein Körper hergestellt
werden, welche1* innerhalb der jeweiligen G^nauigkeitsgrenze sich
selbst gleichbleibt, ein sogenannter „starrer Körper", der seinerseits
zur Herstellung von Ebenen und Geraden verwendbar ist — welche
als „Elementarvorgänge" aufgefaßt werden: dieser Ausdruck wird
zwar sorgfältig erörtert, scheint aber doch in der hier angedeuteten
Verwendung nur dann berechtigt, wenn man Gerade, Ebene und
Körper nicht als gegebene, sondern als entstehende (erzeugte) Dinge
betrachtet. — Um ohne Euklid's Axiome auszukommen, hat R i e -
in a n n einen eigentümlichen Weg eingeschlagen, der logisch unanfechtbar
erscheint, aber insofern befremdlich ist, als dabei die Geo-
nietiie auf arithmetischer Grundlage aufgebaut, der Raum (axioma-
tisch) als eine dreifach unendliche Zahlenmannigfaltigkeit definiert
wird. Hieraus ergibt sich für je zwei Raumpunkte eine Entfernungszahl
, welche als Maßlinie gedacht wird und mit der Geraden iden-
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