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532 Psych. Studien. XXXVIII. Jahrg. 9. Heft. (September 1911.)
Beweis einer generatio aequivoca faktisch erbracht, — nun,
wäre dadurch denn mit einem Mal unsere ganze Weltanschauung
über den Haufen gestürzt? Auf diese Frage
dürfen wir unbedingt mit „Nein* antworten. Daran aber
ist nicht zu zweifeln, daß der Materialismus, wenn sich die
in Rede stehenden Beobachtungen bestätigen sollten, ein
Sturmlaufen gegen jede idealistische und übersinnliche
Weltanschauung beginnen wird, wie e& noch nicht dagewesen
ist. Und diese Besorgnis drückt mir heute die
Feder in die Hand. Da heißt es für den Unerfahrenen,
auf der Hut sein und sich nicht überrumpeln lassen von
der Phrase und dem Triumphgeschrei fanatischer Parteimänner
. Den okkultistischen Standpunkt können die
neuen Entdeckungen in Nichts verrücken. Der wahre
Okkultist wird sie gewiß nicht mit minderer Freude begrüßen
, als der eingefleischteste Materialist. Kennt er doch
selbst, so weit er wissenschaftlicher Arbeiter ist, kein
höheres Glück, als Wahrheiten dem Dunkel zu entreißen,
das sie bisher vor unseren Augen verbarg. Und um so
größer würde über eine Entdeckung wie die in Rede
stehende seine Freude sein, um so lieber würde er es sehen,
wenn der Ubergang von der leblosen anorganisch - organischen
Materie zur lebenden gefunden wäre, als er selbst
vom Zusammenhang und der Zusammengehörigkeit aller
Dinge im tiefsten Herzen überzeugt ist. Ihm ist die
goldene Kette Homert kein Geheimnis, oder ich sage
vielleicht besser: sie gerade ist sein Geheimnis, und kein
Herrera oder Mary kann ihn im Prinzip etwas Neues
lehren.
Aber ich möchte einen Schritt weiter gehen und
ängstliche gläubige Gemüter beruhigen. Auch der Religion
droht keine Gefahr. Wie sehr man auch dagegen geeifert
hat, später gestand man es doch zu, daß sich die Erde
um die Sonne drehe, und keine Kirchenwand ist eingefallen.
Von der Wissenschaft scharf bedrängt, hat man sich dazu
verstanden, das Schöpfungswerk in 6 Tagen in ein solches
von 6 Perioden umzuwandeln, ja, man hat mehr getan.
Man hat sich mit der Vorstellung der allmählichen Entwicklung
ausgesöhnt. Man wird auch die Tatsache der
künstlichen Erzeugung lebender Zellen hinnehmen, und
man tut recht daran. Die Wahrheit ist brutal. Sie fragt
nicht, wem sie lieb, wem sie leid kommt. Sie ist da, sie
ist immer siegreich, und der Besiegte täte unklug, wenn er
das Zeichen seiner Niederlage zur Schau trüge. Aber vor
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