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53S Psych. Studien. XXXVJIJ. Jahrg. 9. Heft. (September 1911 )
dien, welche diesen menschlichen Neigungen widerstehen.
Selbstredend können nur die bei solchen Medicu erhaltenen
Phänomene als Stützen der spiritistischen Hypothese genommen
werden. Meines Erachtens wird von der offiziellen
Wissenschaft sehr oft der Fehler gemacht, mit schlechten
Medien oder Personen , welche überhaupt nicht wirklich
medial sind, zu experimentieren. Wenn diese dann betrügen
oder Phänomene bringen, welche ganz natürlich mit
Suggestion, Autosuggestion, unterbewußter Tätigkeit usw.
zu erklären sind, ist es wahrhaftig leicht zu sagen: „Seht,
Ihr Spiritisten, das sind Eure Geister!" Daß sie es nicht
sind, wissen wir auch. —
Ich sagte, daß es Pflicht des Forschers auf okkultem
Gebiete ist, einen strengen Maßstab an die Beweiskraft erhaltener
Phänomene anzulegen. Nun, dies schließt nicht
aus., daß man auch hierin zu weit gehen kann und dann
in die Gewässer der uferlosen Skeptik gerät. Prof. Flour-
noy's Standpunkt ist liier für die Herren „Wissenschaftler"
ein gutes Vorbild. Der Gelehrte ist, wie ich schon wiederholt
erwähnt habe, weit entfernt, die spiritistische Hypothese
für zulässig zu erklären; aber in Fällen, in welchen
auch ihm die Erklärungen der Wissenschaft doch nicht
mehr durchschlagend erscheinen, enthält er sich weise jedes
endgültigen Urteiles. Ich halte übrigens diese Fälle für
besonders interessant, da sie zeigen, wie tief eingewurzelt
die Abneigung der „Wissenschaft* gegen die spiritistische
Hypothese ist.
Ein Beispiel ist der Fall, den Prof. Flournoy unter
dem Titel: „Le revenant de la maison Görden"
schildert. Ich bringe ihn in Kürze: Mr. G., ein alter Herr,
nur mit seinen Studien beschäftigt, bewohnt im zweiten
Stock seiner Villa zwei Zimmer. Er ist gewohnt, punkt
10 Uhr vormittags eine Tasse Bouillon zu nehmen, welche
ihm die Köchin aus der Küche (zur ebenen Erde) hinaufbringt
. Versäumt sich die Köchin, dann läutet der alte
Herr (die Glocke ist alter Art, an einer Gurt angebracht).
Mr. G. war gestorben; da, eines Vormittags — ungefähr
14 Tage nach seinem Tode — ertönt punkt 10 Uhr die
Glocke! Die Köchin kam erschrocken zu der versammelten
Familie; weder sie, noch sonst jemand hatte die Glocke berührt
(die Drahtleitung der Glocke lief in das Ergeschoß,
wo am Plafond die Glocke befestigt war). Die Tochter
MUe. G. stieg sofort die Treppen hinauf und trat in das
Zimmer ihres Vaters: der Glockengurt war noch in
Bewegung! Dieses Phänomen wiederholte sich noch
fünf- oder sechsmal im Laufe des Jahres. Und zwar die
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