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596 Psych. Studien. XXXVIII. Jahrg. 10. Heft. (Oktober 1911.)
Prof. Flournoy nennt fünf zur Erklärung der Eusa-
pianischen Phänomene aufgestellte normale Hypothesen.
Sie stoßen sämtlich auf außerordentliche Schwierigkeiten
und reichen zu einer halbwegs befriedigenden Erklärung
nicht aus. Ihre einfache Aufzählung genügt, um dem geehrten
Leser dies klar zu machen: 1) Komplott (Kollusion
): Alle Teilnehmer an den Sitzungen, also auch die
Forscher und Vertreter der Wissenschaft haben sich verschworen
, die anderen Menschen zu mystifizieren! 2) Der
Zufall: Das Krachen der Tische, das Springen einer
Saite usw. erfolgten immer zufällig, wenn Eusapia im
Trance ist! 3) Betrug: Besonders die Gelehrten werden
am leichtesten getäuscht, weil sie an die nie fehlenden
Apparate ihrer Laboratorien gewöhnt sind; je gelehrter,
desto leichter zu betrügen; ein kindisches Gerede! 4) Hallu-
zination: Alles ist nur Halluzination und Illusion, begünstigt
durch das halbdunkle Milieu, und zwar wohl gemerkt:
Kollektiv-Halluzination! Diese Hypothese ist von
vielen Gelehrten unterstützt worden. Das Medium hypnotisiert
alle, so zwar, daß die Teilnehmer nur mehr wahrnehmen,
was Eusapia Paladino will, und bei Beendigung der Sitzung
bringt sie alle wieder zum normalen Bewußtsein zurück
. Für diese geistreiche Hypothese, sagt Flournoy,
sprechen einige Berichte über Kollektiv - Halluzinationen,
wie sie die indischen Fakire erzeugen mit Hilfe der
Tropensonne oder betäubender Räucherungen bei ihrer unwissenden
und leichtgläubigen Umgebung. Aber sie hat
ihre Schwierigkeiten in unserem Falle. Sie dehnt die
Macht der Hypnose über alle bekannten Grenzen aus und
widerspricht dem Gefühl der Teilnehmer, vollständig im
Besitze ihres Normalbewußtseins zu bleiben. Eine Kraft
von solch absoluter Faszination, daß sie selbst die überlegtesten
Gelehrten mit einer Fata morgana umgibt, ohne
daß sie es wissen und ohne später den leisesten Verdacht
zu empfinden, würde nicht weniger außerordentlich erscheinen
, als die Wirklichkeit der Phänomene selbst, welche
eben diese Hypothese leugnen will 5) Die zusammengesetzte
Theorie, d. h. alle in den genannten vier
Hypothesen erwähnten Faktoren können zusammenwirken
und sich gegenseitig ergänzen. „Möglich ist alles," sagt
Flournoy, „aber ich bezweifle es stark. Alle Phänomene
der Paladino zurückzuführen auf das einfache Zusammentreffen
gewöhnlicher Umstände, scheint mir mit der Zeit
immer noch unwahrscheinlicher und ich fürchte, daß diejenigen
, welche um jeden Preis den gemeinen Menschenverstand
und die gegenwärtige Wissenschaft vertreten
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