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Peter: Th. Flournoy's „Esprits et Mediums". 599
und die unsympathische spiritistische Hypothese nicht
a priori auf immer zu verdammen. Prof. Flournoy sagt
mit Recht, „daß die große Scheidungslinie zwischen den
verschiedenen supranormalen Erklärungen, die ja alle den
gegenwärtigen Rahmen unseres Wissens durchbrechen, darin
besteht, daß die einen sich an Individuen halten, welche
durch die Biologie schon anerkannt sind, und denselben
nur neue, noch nicht bekannte Fähigkeiten zuschreiben,
während die anderen sogleich auf das Eingreifen neuer
Wesen kommen, welche unserer empirischen Welt nicht bekannt
sind.
Ich sage nicht, daß dieser Sprung ins Jenseits
sich nicht eines Tages unter dem Drucke der Erfahrung
aufdrängen ^Ird, allein es widerstreitet dem wissenschaftlichen
Denken, dies leichthin zu tun, in der Besorgnis, die
übrigens sehr natürlichen Flüge des Herzens und der
Phantasie für wirkliche Fortschritte des positiven Erkennens
zu nehmen, eine stets bedauerliche Verwechselung.
Es muß also * die Einführung der Desinkarnierten oder
anderer geheimer Wesen in die Eusapianischen Phänomene
verschoben werden, bis der experimental gestützte Ver-
nunftschluß („raisonnement experimentalÄ), wie Cl. Bernard
>agte, entschieden nicht mehr daran vorübergehen kann.
Dieser Moment scheint noch nicht gekommen!* Gut,
dieser Standpunkt der offiziellen Wissenschaft muß geachtet
werden, — sie ist hierzu berechtigt. Es darf auch nicht
vergessen werden, daß ihr Urteil unendlich schwerer in die
Wagschale fällt, als das eines Einzelnen, wodurch ihr die
Verpflichtung erwächst, doppelt und dreifach vorsichtig
vorzugehen. Die offizielle Wissenschaft kann schon aus
diesem Grunde niemals in der Avantgarde marschieren,
aber sie darf und soll deshalb nicht die Pioniere der
letzteren mit Verachtung behandeln, selbst wenn einige
derselben mit leicht erhitzter Phantasie zu kühn in ihren
Schlüssen sind. Wenn in ferner Zukunft schließlich doch
der Gedanke der spiritistischen Hypothese sich auch die
Anerkennung der Wissenschaft erzwingen würde, wieviel
hätte sie abzubitten! Wie oft aber ist ihr dies Mißgeschick
schon begegnet, von Galilei's Entdeckungen bis zur Erfindung
der drahtlosen Telegraphie! —
Sehr treffend führt Prof, Flournoy die Hypothese auf
Betrug — vorausgesetzt, daß das Medium gut überwacht
und kontrolliert wird — ad absurdum. Eusapia Paladino
leidet selbst viel zu stark unter den Erscheinungen ihrer
Mediumität, eine Tatsache, welche bei Betrug und Tricks
ausgeschlossen wäre.
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