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Religion und Spiritismus.
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den Glauben an Gott und an die Unsterblichkeit der Seele
gutheißt, aber auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten
Kirche keinen Wert legt. Darum hauptsächlich sah zum
Beispiel der f orthodox-katholische Dr. Egbert Müller, der
übrigens mit aller Energie für die Wirklichkeit der spiritistischen
Tatsachen eintrat, im Spiritismus eine großartige
Inszenierung des Satans zur Vernichtung der Kirche
Christi. Wenn ein so begeisterter Anhänger der christlichen
Lehre wie Tolstoi den Spiritismus verwirft, so erklärt sich
das hauptsächlich daraus, daß dieser Mann für mystische
Spekulationen über das Wesen Gottes und des Heilandes
wenig übrig hat — und nur dabei könnte er vom Spiritismus
Unterstützung erhoffen —, daß er vielmehr nur auf
diejenigen Lehren Christi Wert legt, die sich auf unser
Verhalten im irdischen Leben beziehen, und daß er nur
in ihnen das Wesentliche des Christentums erblickt. Wenn
dagegen orthodoxe Berliner Geistliche, wie vor einigen
Jahren Stöcker, Pfeiffer oder JRiemann, öffentlich gegen den
Spiritismus auftreten und damit einen Kampf gegen den
Aberglauben zu führen behaupten, so tun sie es, weil sie
in ihm den Keim einer neuen, vielleicht nicht erfolglosen
Sekte zu erkennen meinen und fürchten. Nach dem, was
Dr. Bab über Theorie und Praxis der Spiritisten selbst
mitteilt, ist die Besorgnis vor einer psychischen Massenvergiftung
nur zu sehr begründet.
In London erschien eine Schrift: „Confessions of a
medium.44 Es enthält die Erfahrungen eines jungen Theologen
, der sich Parker nennt, und der sich einem Medium
(mit dem Pseudonym Thomson bezeichnet), von dessen
Echtheit überzeugt, als Begleiter anschließt. Mißtrauisch
geworden, entlarvt er schließlich sein Medium und trennt
sich von ihm. In Wahrheit war Thomson das „Medium*
Firman, das dem Geisterphotographen Buguet bei dessen
Schwindeleien Helfershelferdienste leistete. Parker selbst
hieß mit seinem richtigen Namen Chapmann. Firman ließ
ihn, als er sich weigerte, den Schwindel weiter mitzmachen,
hilf- und mittellos in fremdem Lande zurück. Chapmann
veröffentlichte nun einige der wichtigsten Tricks, die er
bei Firman kennen gelernt hat. Besonders zu erwähnen
ist, wie er die Materialisationen erklärt. Sobald die Zirkelteilnehmer
das Medium eingeschlafen glauben, zieht dieses
aus seiner Tasche oder aus einem anderen Versteck zusammengerolltes
Leuchtpapier hervor und kommt damit
her vorgeschlichen. Läßt er nun dieses „ Geistergewandtf
herabfallen oder zieht er es vom Boden, wo es wie ein
leuchtender Nebel zusammengerollt liegt, empor, so steht
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