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638 Psych. Stud. XXXVIII. Jahrg. 11. Heft. (November 1911.)
vorüber, war seine Antwott, aber nur einmal ist es mir begegnet
, daß mein Pferd, das ich ritt, gerade hier plötzlieh
still stand und auf keine Weise zum Weitergehen zu bewegen
war. Mit Mühe konnte ich schließlich das zitternde
Tier über die Stelle führen." —
Während ich in Würzburg in der Seelsorge tätig war, trat
mir auch dreimal das Gebiet des Geheimnisvollen nahe. Eines
Tages nämlich hörte ich, daß der mir befreundete, in weiten
Kreisen bekannte, berühmte Theologe Dr. Schell ein Tuch
besitze, in dem die Hand einer „armen Seele* eingebrannt
sei. Ich suchte Schell auf und er bestätigte mir, daß sein
Freund, Pfarrer A. in M., ihm ein solches Tuch geschickt
hatte, er habe es aber bereits zurückgesendet. Nun ward
ich von diesem Pfarrer A. eingeladen, an einem gewissen
Festtage die Predigt in einer Filiale seiner Pfarrei zu
halten, wo der junge Mann, der Besitzer des Tuches, wohne.
Dieser kam dann auch. Es war ein armer Schuhmacher,
der im Winter im Wald arbeitete und sich mit seiner
Mutter, einer Witwe, redlich durchbrachte. Der Pfarrer
bezeugte mir, daß er zu den brävsten jungen Leuten der
Pfarrei gehöre und daß er ihn eines Betruges in so ernster
Sache nicht für fähig halte.
An einem Novemberabend, so erzählte mir der Jüngling
, sei er bei hereinbrechender Dämmerung durch den
Wald nach Hause gegangen. Da sah er auf einmal neben
sich eine graue Gestalt „wie von dichtem Nebel" hergehen,
die ihn anredete. Er heiße N. N., sei aus X. und 1858
gestorben. Auf diesem Wege habe er zu seinen Lebzeiten
einem Bauern, auf dessen Wagen er fuhr, einen Beutel mit
62 fl. gestohlen. In der Beichte wurde ihm die Zurückgabe
des Geldes vom Priester geboten. Da er aber nur
einen Teil restituiert, so habe er bisher keine Ruhe gefunden
und er bitte nun den jungen Mann, für ihn zwei
heilige Messen lesen zu lassen und neun Tage lang bestimmte
Gebete zu verrichten. Er werde dann seinen Dank
erstatten. Der „ Geisttt verlangte zur Bekräftigung des Versprechens
die Hand des Mannes, die dieser aber, „weil
solche Hitze von der Gestalt ausging" und er Schaden zu
nehmen fürchtete, nicht darreichte. Durch die Bestellung
der Messen erfuhr der Pfarrer von der Sache und machte
ihm ernstesten Vorhalt, ob er auch die Wahrheit berichte.
Der Mann beteuerte es vor Gott. Als die neun Tage vergangen
waren, saß der Schuster eben in seiner Werkstatt.
Es war gegen Mittag. Da sei von der Türe ein heller
Schein hergekommen: darin war die nicht hohe Gestalt des
Geistes sichtbar, der sich für die geleistete Hilfe bedankte.
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