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Clericus: Erinnerungen aus meiner Pastoralzeit. 639
Weil unterdessen das Vorkommnis namentlich durch die
Mutter des Mannes bekannt geworden war und sich
Stimmen des Zweifels oder auch des Spottes erhoben
hatten, hatte ihm die Mutter geraten, den Geist um eine
Art von Legitimation durch ein äußerlich sichtbares Zeichen
zu ersuchen und, da im Volk die Rede ging von armen
Seelen, die Spuren ihrer Hand in ein Tuch eingebrannt
hätten, so hatte der Sohn ein großes, weißes Taschentuch
bereit gelegt, und siehe da, die Bitte wurde erfüllt: über
dem Tuch sah man einen Augenblick lang kleine Flämm-
chen emporfahren. Es zeigte sich darin, wie ich mich
selbst überzeugen konnte, eine große, kräftige Hand eingesengt
und zwar die Handfläche , wie die einzelnen Finger,
so aber, daß das Tuch an keiner Stelle durchlöchert war.
Ich stellte mich nun der Erzählung des Burschen gegenüber
, der auf mich den Eindruck eines ernsten, in sich gekehrten
Menschen machte, scheinbar abweisend und bemerkte
in spöttischem Tone, er habe es gut, er brauche
nicht wie andere an jenseitige Dinge zu glauben, sondern
zeige sie mit Händen; worauf er zur Antwort gab, er habe
von jeher aus ganzer Seele die Wahrheiten geglaubt, die
im .Religionsunterricht ihm gelehrt worden seien: er brauche
keine Wunder und Zeichen. Und da ich fortfuhr, er werde
sich nun wohl mit der £>aehe groß machen, meinte er ernst,
er rede darüber nur, wenn es sein müsse; das Tuch habe
er mir nur auf die Bitte seines Pfarrers hin gebracht, es
solle ihm einst mit ins Grab gegeben werden. Nicht Vorteil
, sondern nur Leid habe er von diesem allem; denn die
einen prophezeiten ihm seinen baldigen Tod, andere hätten
ihn beschimpft. Schließlich hielt ich ihm noch sehr eindringlich
das Sündhafte und Verwerfliche einer absichtlichen
Täuschung vor, er aber beteuerte ruhig bei seiner
Seligkeit und im Angesichte Gottes, er habe die reine
Wahrheit geredet". —
Prof. Schell hatte übrigens jenes Tuch einem Kollegen
an der Universität, einem Chemiker, vorgelegt. Dieser
meinte, die Hand sei künstlich dadurch eingesengt, daß
man das nasse Tuch gegen eine glühende Eisenplatte gehalten
habe. Allein dem ist entgegen zu halten, daß dann,
Avenn das Tuch sich zwischen Hand und Platte befand, nur
ein Fleck von unbestimmten Umrissen, nicht aber die genau
gegen einander abgegrenzten Finger und die Handfläche
sich eingesengt hätten. Eher müßte man annehmen,
daß das Tuch auf eine glühend gemachte metallene Hand
gehalten worden wäre und zwar gegen die Innenseite
derselben. Der Charakter des Burschen sprach aber gegen
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