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Hirth: Tier und Mensch als Arbeitsmaschine. 679
Bis vor kurzem stand die gesamte Physiologie, sogar
diejenige der Kaltblüter, im Banne der Wärmedynamik
. Seit ßobert Mayer seiner großen Wahrheit von
der Erhaltung der Energie den großen Irrtum von dem
Betriebswert der Nahrungsmittel nach der Zahl der von
ihnen gelieferten Kalorien hinzugefügt, ist das Dogma, daß
das Tier im wesentlichen eine Wärmemaschine bei, nicht
ernstlich in seiner Herrschaft erschüttert worden.
Zwar an warnenden Feststellungen hat es nicht gefehlt
. Schon 1864 machte Heidenhain die für ihn damals
unangenehme Entdeckung, daß der Froschmuskel um-
somehr Wärme erzeugte, je größer seine Arbeitsleistung
war, — also das gerade Gegenteil vom Verhalten der
AYärmemaschine. Die Selbstbeobachtung lehrt einen Jeden
von uns, daß Arbeit, auch die geistige, heiß macht, und
daß nicht etwa die zunehmende Hitze unsere Arbeitsfähigkeit
steigert. Wer sich für die wissenschaftlichen Gründe
interessiert, welche gegen die Auffassung des Tieres als
Wärmemaschine' sprechen, dem empfehle ich die geistreiche
kleine Broschüre de3 Wiener Professors Max Kasso-
witz: „Der theoretische Nährwert des Alkohols* (Verlag
von Jul. Springer in Berlin, 1908).
Wenn trotzdem die alte, unhaltbare Vorstellung fortwuchert
, wenn wir hier und da sogar vom Tiere als einem
„kalorischen Explosionsmotor" (!) gelesen haben, so liegt
dies nur daran, daß man sich aus Mangel an durchschlagenden
Beweisen noch nicht für die Ersetzung des
kalorischen durch den elektrischen Betrieb entscheiden
konnte. An einem sehr umfangreichen wissenschaftlichen
Apparat, bestehend in einem Heer von allgemein
theoretischen und empirischen Detailforschungen,
hat es freilich solchem Frontwechsel nicht gefehlt. Wohl
aber an dem kühnen Entschluß, die Betriebsherr-
schaft der Elektrizität zu glauben. Nur mit diesem
intuitiven Glauben ist es mir möglich geworden, die letzten
unabweisbaren Experimente zu entdecken, die seit Jahrzehnten
in dornröschenhaftem Schlummer lagen, und eben
nur wegen jenes Mangels an festem Glauben unbeachtet
bleiben konnten.
Einem kühlen Frosch, den für eine „ Wärmemaschine *
zu halten schon fast frivol wäre, ist der letzte Blutstropfen
entzogen worden. Regungslos liegt der arme Kerl da, alle
Lebensspuren sind entwichen. Nun wird anstatt des Blutes
dem leeren Gefäßsystem eine ungefähr einprozentige Kochsalzlösung
eingeflößt, die nicht einmal gewärmt zu sein
braucht, — und siehe da, nach einiger Zeit rührt der
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