http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1911/0726
722 Psych. Stud. XXXVIII. Jahrg. 12. Heft. (Dezember 1911.)
Kanu ich in Buhe schlafen,
Wenn ich Dich leiden seh'?
Kann ich zum Tanze gehen
Mit Deinem großen Weh?
Ich bin Dein zweites Wesen,
Dies sei Dir endlich klar,
Ich bin Dir eng verbunden
Seit Deinem ersten Jahr.
Ich teile Deine Schmerzen,
Ich teile Deine Lust,
Dies war und wird so bleiben,
Wenn Dir auch unbewußt.
Frägst Du nach meinem Kamen,
Ich heiße ganz wie Du,
Und schließt Du Deine Augen,
Schließ' ich auch meine zu.
Doch willst Du mich benennen,
So sprich: Du liebes Ich,
Dann hast Du wahr gesprochen,
Ich bin doch nur durch Dich! Otto.
Indes Flournoy gibt zu, daß Mr. Denis' Ansicht im allgemeinen
zutrifft; allein das sei nicht zu verwuudern, da
doch im spiritistischen Kieise alles von dem Gedanken und
der Erwartung durchdrungen sei, daß sich die Verstorbenen
manifestieren. Mit einem Wort: Suggestion und Autosuggestion
genügen, um die gewöhnliche Form der Mitteilungen
zu erklären. »Wenn Denis im Laufe einer dreißigjährigen
Erfahrung niemals eine Ausnahme gesehen hat, so beweist
dies einfach die ansteckende Kraft seiner Feberzeugung in
den Sitzungen, denen er beiwohnte, und das wird niemand
überraschen, der seine so sympathische Persönlichkeit kennt/
Ich halte dies Argument Prof. Flournoy's für mehr liebenswürdig
, als beweiskräftig. —
Interessant ist die von Sidis und Goodhart in
jüngster Zeit aufgestellte psychophysiologische Erklärung
des Erscheinens der Toten in den mediumistischen UnterPersönlichkeiten
. Die genannten Neurologen sehreiben das
Phänomen der Struktur unserer Nervenzentren zu. Letztere
bestehen nach Ansicht dieser Gelehrten aus relativ unabhängigen
Neuronen, welche rein funktionell, außerordentlich
beweglich und veränderlich, momentane Systeme bilden, die
bald wieder zerfallen, um neue Gruppen zu formen neben
der festen und bleibenden Gruppierung, welche die ßasin
des normalen Ichs ist. Vom psychischen Standtpunkt aus
sind es jene unbeständigen Gruppen, welche die „temporären
Personalitäten" aufbauen; dieselben neigen sehr zur Nachahmung
und Spielerei, sie geben Namen und simulieren
Leben. Hierdurch zeigen sie in ihrer Weise, daß sie nieht
fertige, wirkliche und lebende Persönlichkeiten sind, aber
daß sie nach wirklichem Leben streben. Indem sie >\v\\
selbst in eine andere Welt, als das normale Ich setzen, in
die Welt der desinkarnierten Geister, offenbaren diese Transpersönlichkeiten
ihre wahre Natur: es sind ephemere Wesen,
nur „Existenz - Kandidaten*. — Diese Theorie ist zwar
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1911/0726