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742 Psych. Stud. XXXVIII. Jahrg. 12. Heft. (Dezember 1911.)
Deutschlands rühmlich bekannte Volksredner, Herr A.
Kessemeier, der in Hamburg jetzt dauernd sein Domizil
aufgeschlagen hat, eine Gegendemonstration gegen den ersten
Monistenkongreß, der Anfang September d. J. in Hamburg
getagt hatte.
In seinem Vortrage, der durch einen warmen, versöhnlich
gehaltenen Ton sehr sympathisch berührte, führte
der Redner aus, daß der „Monismus* in seiner jetzigen
Interpretation dem Materialismus, resp. dem Atheismus
gleichstehe, daß er aber keinesfalls als Wissenschaft
sondern lediglich als Glaubenssache zu betrachten sei;
denn das vom Begründer des heutigen „Monismus", Prof. Dr.
E. Haeckel (Jena), beanspruchte Wissen basiert nicht auf
einer die Wissenschaft sonst auszeichnenden gründlichen Erfahrung
durch exakte Experimente oder Beweise, sondern
eben auf der Phantasie dieses Einzelnen, dem seine Anhänger
einfach nachbeten, was er mit mehr oder weniger
suggestiver Macht behauptet. Sie beten ihm heute noch
nach, trotzdem die eklatanten „Fälschungen* der Embryonenbilder
von den Professoren Hiß und Braß als solche
zur Genüge beleuchtet worden sind. Sie „glauben* an die
direkte Abstammung des Menschen vom Affen und an den
endgültigen Tod. Sie leugnen die Seele und Gott. — Wie
reich ist dagegen der Okkultismus an Beweisen vom
Gegenteil!
In jüngster Zeit erhob sich wieder eine Stimme von
sehr berufener Seite gegen den Materialismus. In seiner
Broschüre „Der Kampf um die Seele"*) sagt Universitätsprofessor
Dr. A. Wagner: „Der Materiaiismus mit seiner
Leugnung der Seelenkräfte ist in logischer Hinsicht eines
der schwächsten Gedankengebäude, zu dem der Mensch
jemals Zuflucht genommen"..... »Der Materialismus ist
kein wissenschaftliches Gedankensystem. Als solches wäre
er wegen seiner Einseitigkeit und Erfahrungswidrigkeit
längst in Trümmer gefallen. Er ist vielmehr ein Glaubensgebäude
, und als solches steht er fest, bis das Fundament
selbst zum Wanken kommt, aus dem er entstanden ist:
nämlich das Bedürfnis, jeden Gedanken an Seelenkräfte als
wirkende Faktoren natürlichen Geschehens von sich abzuweisen
." — Herr Kessemeier befindet sich also mit dieser
in Hamburg öffentlich ausgesprochenen Ansicht in allerbester
Gesellschaft. Im Verfolg seines Vortrages beleuchtete er
weiterhin die Konsequenzen, die sich aus der trostlosen
Weltanschauung des HaeckePsehen „Monismus* und anderer-
*) Verlag für Fortbildung, Berlin W. 30. Preis 50 Pfg.
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