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Literaturbericht.
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— ob König oder Bettler, des Intellekts — ob gelehrt oder unwissend,
des Charakters — ob Kdelmeusch oder Verbrecher; denn die Menschheit
kann nur erlöst werden durch die unendliche Güte eines jeden
von uns und eine durch die Guten herbeigefühlte Weltorganisation
im Sinne der Bergpredigt des Urchristentums. Bei oberflächlicher
Betrachtung der vergänglichen Sinnen weit mit ihrem eiteln Schein,
mit all ihren Greueln, Qualen und Sinnlosigkeiten muß freilich der
Kämpfer für Menschen wohl, wenn er nicht verzweifeln will, den
alles verstehenden, alles verzeihenden, überlegen lächelnden Optimismus
des Verf. begreiflich finder, wenn er lehrt: „Spielt! Spielt
ein fröhliches, harmloses, sinniges Spiel! Überwindet damit Welt
und Leben — seid gut und spielt !u Wir kommen damit in die
ric htige Fau^tstimmung: „Verachte nur Vernunft und Wissenschaft,
des Menschen allerhöchste Kraft !„ Aber die weltbesiegende Macht
der Liebe hat von je die herrlichsten Werke vollbracht: Demut ist
das schärfste Schu ert, Mitleid der stärkste Panzer, sie allein werden
die Menschheit endlich erlösen. Vollkommen gut ist aber nur der,
für den es nicht gibt gute und böse Menschen, sondern nur glückliche
und unglückliche Brüder. Ali unser Treiben und Erfinden,
Schaffen und Entdecken ist eine unnütze Tändelei, wenn es nicht
dazu beiträgt, das Leid unseier Brüder und Schwestern zu lindern,
ihre Not zu verringern, ihre Tränen zu stillen. Allumfassendes,
allvergebendes Mitleid und überquellende, jauchzende Mitfreude mit
allem Seienden im ISomen der göttlichen Alleinheit führt zum Nirwana
, jenem Zustand gefühlsinniger Allwissenheit und grenzenloser
Allliebe, verbunden mit der Erinnerung an die schönsten Momente
trüberer, individueller Daseinsformen. Das wahrhaft Edle, Weise
und Schöne ist freilich nur für die Auserwählten da; für die große
blinde Menge wird es ein ewiges Geheimnis bleiben. Ewigkeitswert
hat die aitindische Lehre :v „Tat twam asi", d. i. in allem Seienden
erkenne dich selbst und zugleic h damit ein höchstes Wesen: Gott.
Den besten Trost in allem Erdenleid gibt das Bewußtsein, nie einem
anderen Wesen mit Wissen und Willen ein Leid zugefügt zu
haben. — Rührend ist des Verfassers Beichte und Vermächtnis an
seine „Geistesbrüder", wie sein Schmerz darüber, daü er in seinem
Leben voll Mühe und Arbeit nie die ihn begreifende, mitempfindende
Schwesterseele gefunden hat. Möge sein herrliches
Buch, das ja nicht zu den Büchern der „Saison" gehört, 'nun den
Weg zu recht vielen begeisterungsfähigen, gleichgestimmten Herzen
finden! Wir können uns kaum eine schönere Weihnachtsgabe
denken. Fritz Freimar.
VI. Congres beige de Neurologie et de Psychiatrie, Bruges 1911. Rapport
de Psychologie: L'61 u d e*e xp^rimentale de Pa sso-
ciation des idäes dans lesmaladies mentales par
les docteurs Aug. Ley (agräge* a Funiveralte* de Bruxelles) et
Paul Menzerath (chef de laboratoire au Sanatorium du Fort
Jaco). Gancl tA. Vander Haeghen) 1911. 200 p.
Diese durch streng wissenschaftliche Exaktheit, sowie durch
ein hochinteressantes klinisches Beobaehtungsmaterial ausgezeichnete
Arbeit zweier beigischer Nervenärzte über pathologische
Psychologie behandelt eingehend die bei einer großen Zahl von
Delirien in oft sehr sonderbarer Weise gestörte Ideenassoziation.
Man hat in den letzten Jahren die einzig fruchtbare Experimental-
methode bei geisteskranken Subjekten so angewendet, daß man
ihnen ein bestimmtes Wort gab und sie aufforderte, unmittelbar darauf
mit dem ersten ihnen in Verbindung damit in den Kopf
kommenden Wort zu antworten, wobei man auch gewisse be-
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