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Kaindl: Die physiologischen Grenzen der Gesichts-Halluzination. 27
denkbar und hat sein Analogon in der Spektroskopie, daß
das darin verwickelte erregte Organ des Gesichtssinnes
Strahlen derselben Periode in sich aufnehmen und daher
wahrnehmen wird, die es, um das Bild zu formen, aussendet
. — Diese Hypothese könnte auch auf die Fälle von
hypnotisch suggerierten Halluzinationen, welche vom Subjekte
in einer sehr lebhaften und objektiven Weise wahrgenommen
zu werden scheinen, angewendet werden. Ich
sage „ scheinenweil wir in den meisten, solche Phänomene
betreffenden Berichten in Bezug auf den Grad, in
dem sich die hypnotischen Subjekte ihrer Umgebung bewußt
sind, fast völlig im Unklaren belassen werden.*) Die
*) Nach M a y o (Dr. Herbert Mayo: „Wahrheiten im Volksaberglauben
JS. 116, 117) findet sich in der „ EncyelopeMie fran-
caise" in dem Artikel „Somnambulisnie" ein Fall von Schlafwandeln
erwähnt, aus dem hervorzugehen scheint, daß im ekstatischen Traum
das Subjekt mit der Außenwelt ohne die Vermittelung seiner physischen
Sinnesorgane in Beziehung tritt, seine supernormalen per-
zeptiven Fähigkeiten jedoch völlig im Dienste der Traumphantasie
stehen, weshalb es außerstande ist, das Objektive von dem rein
Imaginären zu unterscheiden, vielmehr ihm gleiche Eealität beimißt.
Der betreffende Fall wird wie folgt berichtet: „Ein junger Mann,
der mit dem Erzbischof von Bordeaux gleichzeitig dasselbe Seminar
besuchte, stand in jeder Nacht auf, Predigten auszuarbeiten oder
Musikstücke zu komponieren. Um seinen Zustand genau zu beobachten
, ging der Erzbischof mehrere Nächte hintereinander in
sein Zimmer, wo er Folgendes bemerkte: Der Schlafwandler stand
auf, nahm Schreibmaterial und fing au zu schreiben. Wollte er
Noten schreiben, so nahm er erst ein Lineal und zog die Linien.
Die Noten und den dazu gehörigen Text schrieb er vollkommen
richtig; hatte er die Worte zu weitläufig geschrieben, so verbesserte
er den Fehler sogleich. Hatte er eine Predigt fertig gearbeitet, so
las er sie mit lauter Stimme vom Anfang bis zum Ende vor. Gefiel
ihm eine Stelle nicht, so strich er sie durch und schrieb die
Verbesserung richtig darüber. Einst hatte er das Wort „divin"
durchstrichen und wählte dafür den Ausdruck „adorable", doch vergaß
er nicht, das vorhergehende „ce" durch richtiges Hinzufügen
eines „t" in „cet" umzuändern. Üm sich zu überzeugen, ob sein
Kommilitone sein Auge gebrauchte, hielt ihm der Erzbischof einen
Bogen Pappe vor dieselben. Der Schlafwandler nahm nicht die geringste
Notiz davon, sondern fuhr ruhig fort zu schreiben. Ein
Stückchen Aniskuchen , welches er hervorgesucht hatte, aß er mit
großem Appetit; als man ihm aber ein andersmal ein Stück von
demselben Kuchen in den Mund gesteckt hatte, spie er es wieder
wTeg, ohne darauf zu merken. Er wußte stets, ob Tinte in seiner
Feder war. Ebenso merkte er, wenn man sein Papier auf eine gewandte
Weise mit anderem verwechselte und der neue Bogen eine
von dem ersten verschiedene Größe hatte; er schien dann in Verlegenheit
zu geraten. War aber der reine Papierbogen ebenso groß,
wie der beschriebene, so wurde er die Verwechselung nicht gewahr;
er fuhr dann fort, seine Ausarbeitung von dem leeren Papiere mit
eben derselben Leichtigkeit vorzulesen, wie wenn das Manuskript
selbst vor ihm läge, ja er setzte sogar seine Korrekturen fort und
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