http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1912/0067
Literaturbericht.
63
sonst findet. Ebenso tadellos, sauber und schön, wie sich das hier
vorliegende Werk inbezug auf den Druck präsentiert, ebenso tadellos
ist auch der Stil, ebenso sauber und schön auch die Form der
Darstellung, in der sich der Verfasser nicht bloß als Philosoph,
»ondern auch als Dichter entpuppt. Denn wir finden darin seine
Weltanschauung sowohl in Prosa, wie in poetischer Form vorgetragen
, so daß wir sie auch in dramatischer Ausgestaltung auf
uns wirken lassen können. Bis hierher haben wir nur von der bestehenden
äußeren Hülle geredet, in der sich uns diese Philosophie
präsentiert. Weniger bestechend als die Form i*t nun aber offenbar
der Inhalt dieser Philosophie, wenigstens l ach Ansicht des unterzeichneten
Rezensenten. Gleich mir werden wohl auch andere
gegen diese Philosophie manches einzuwenden haben, obschon der
Verfasser selbst der Meinung ist, daß er mit der hier entwickelten
allgemeinen Weltanschauung — wie er selbst schreibt — „im Besitz
der bisher einzig der Wahrheit entsprechenden Philosophie" sei.
Dies bestreite ich. Es handelt sich, hier kurz gesagt, um eine auf
dem Grundbegriff der Substanz — einem übrigens ganz unbekannten
Etwas, das den Grund der Dinge bilden soll — aufgebauten Weltanschauung
, die sich aber um tiefere Seelenfragen gar nicht
kümmert, sondern alles ignoriert, was man heutzutage als Meta-
psychik und als esoterische Geisteswissenschaft bezeichnet. Daß
eine solche Weltanschauung, die sich nur auf das sinnlich Erkennbare
stützt, trotz alter Ethik und alles Idealismus, von denen sie
erfüllt ist, einen ausgesprochenen Pessimismus an der Stirne tragen
muß, liegt auf der Hand. Denn nur der Hinweis auf die Welt des
11)ersinnlichen und die Erkenntnis der Palingenie vermögen uns
vor solchem Pessimismus zu bewahren. Wenigstens ist das meine
bescheidene Meinung. L u d w. D e i n h a r d.
Friedrich Naumann, Geist urifl Glaube. Fortschritt (Buchverlag der
„Hilfe") Berlin - Schöneberg 191L 263 S. Oktav. Preis kart.
3 M., geb. 4 M.
Protestantische Philosophie, religiöse Selbstbehauptung und
Nachdenken über die staatliche Gebundenheit der Religion, die
kirchliche Gebundenheit des Staates geben die Linien dieses Buchs.
Es ist auf starkem, sozialem Denken aufgebaut, das im Staate gern
eine Heimat freien, tiefmenschlichen Lebens und Wirkens eines
einigen Volkes begründet sehen möchte. N. unterscheidet
die Religion des Herzens, wie sie der Menschheitsbefreier Jesus
lehrte und lebte, von der von Dogmen starrenden Religion, wie sie von
den Kirchen unter staatlicher Sanktion gelehrt wird. Woher soll
der Fortschritt kommen? Von den Kirchen nicht, denn sie sind
Feinde aller Bewegungen voller unberechenbarer, religiöser Begeisterungen
. Die Persönlichkeit fühlt sich eingeengt, unfrei in
jenen Dogmen-Religionen, darum sucht; sie nach neuen Werten. Sie
geht in die Tiefen der Menschenseele und findet dort reiche Schätze
tief religiösen Fühlens und Denkens. Aber die Staatsmacht tritt
diesen Vertiefungen religiösen Lebens überall hemmend entgegen.
Sie zwingt die Kindesseele in ein bestimmtes Glaubensbekenntnis
hinein, bindet an dasselbe das Lehren und Wirken jedes Priesters
und entläßt ihn, wenn er sich dem nicht beugen will. So erstarrt
der Glaube immer mehr, besonders bei uns, wo er sich nicht in
Sekten hinein flüchten kann, wie in Nord - Amerika, um dort ein
starkes, den Menschen führendes Wirken zu üben. Das Buch ist
ein Weckruf für alle, die sich nach neuen Prägungen des alten
Glaubens sehnen, der das ganze Menschenleben mit Frieden und
Freude durchleuchten soll. Sein Inhalt ist sehr vielseitig: in alle
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1912/0067