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178 Psychische Studien. XXXIX, Jahrg. 3. Heft. (Mörz 1912.)
Schilderung begierig gemacht hatte; und so wurde dieses
kleine Haus zu einem Wallfahrtsorte, einem Asyl, wo Empfängliche
Anregung für Geist und Herz, Bekümmerte Trost,
Lebensmüde Erfrischung suchten und fanden". Hier stellten
sich Fürsten und Dichter, Gelehrte, Priester und schlichte
Männer aus dem Volke, Freunde und Fremde, Männer und
Frauen, Gesinnungsgenossen und Gegenfüßler als Gäste ein,
alle von Meister Justinus gleich liebe- und verständnisvoll
empfangen, von seinem Riekele gleich anspruchslos und
erenndlich bewirtet, und das stille Haus ward eine abwechslungsreiche
Heimstätte von Geist und Humor, von
Dichtung und Wissenschaft. So ward es berühmt in allen
deutschen Landen, und es ward vollends weltberühmt, als
zu seinen Gästen sich auch die „Geister" gesellten
Seit den zwanziger Jahren begann sich Kerner mit den
Erscheinungen der Nachtseite des Lebens, mit dem Magnetismus
, Somnambulismus und Geisterwesen zu befassen,
und 1826 kam jene Friederike Hauffe in sein Haus,
die er nach ihrem Heimatsorte die „Seherin von Prevorst"
genannt und durch sein 1829 zuerst veröffentlichtes Buch,
(dem dann noch eine ganze Reihe von Schriften verwandten
Iuhalts gefolgt ist) über die ganze Erde bekannt gemacht
hat. Die schwerkranke Frau, deren Züge von Gabriel
Max festgehalten worden sind, hat durch den großen Adel
ihrer Erscheinung, Gesinnung und Rede auch auf verhärtete
Skeptiker einen bedeutenden menschlichen Eindruck hervorgebracht
. Inwieweit die Wissenschaft Kernels Erfahrungen
auf diesem Gebiete bestätigt hat, das zu beurteilen ist nicht
meines Amts; uns beschäftigt hier nur sein persönliches Verhältnis
zu dem Geisterreiche. Er legte den größten Wert
darauf, daß das, was er berichtete, reine Tatsachen seien;
und wenn er, der liebenswürdigste aller Romantiker, wohl
freilich kaum die stählerne Schärfe des Judiziums besaß, die
zu dergleichen Beobachtungen erfordert wird, so suchte er
sie doch durch Kontrollen zu sichern. Für ihn jedenfalls
waren die Geistererscheinungen und -Äußerungen nüchterne,
unanfechtbare Tatsachen, selbst wenn sie ihm manchmal
gar nicht angenehm waren. Er kannte seine „Geister", die
feinen wie die garstigen, er ging mit ihnen vertraut um
wie mit den Lebendigen. Aber er wahrte sich selbst ihnen
Gegenüber seinen Humor, ließ sich von ihnen nicht ins
Vübe hinabziehen und hütete sich übrigens, zu weitgehende
Schlüsse auf seine Erfahrungen zu bauen. So konnte er
trotz dieser ungemütlichen Gäste sein Sonnenleben weiter
leben, und selbst die zunehmende Schwächung seines Augenlichtes
, die ihn endlich zur Aufgabe seines Amtes nötigte,
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