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Literaturbericht.
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teur). Suite a „La survivance de Farne". — Paris, Librairie du
magn^tisme, rue Saint-Merri 23. 1911. 532 p.
Wir haben uns schon in früheren Heften (vgl. Aprilheft 1911,
8. 264) mit der kulturgeschichtlich sehr beachtenswerten antikirchlichen
Beformbewegung des Neugnostizisnius in Frankreich und
speziell (im Juniheft 1910, S. 362 f£.) mit dem philosophisch bedeutsamsten
Werk dieser Richtung: „Exposition de la religion chrä-
tienne moderne, scientifique et philosophique" von M. J. ßricaud
und Dr. L.-8. Fugairon so eingehend befaßt, daß es genügen wird,
unsere Leser auf obiges neues, hochinteressantes Buch des Letzteren,
das eine direkte Fortsetzung seiner 1907 erschienenen Schrift über
das „Fortleben der Seele" bildet, in tunlichster Kürze hinzuweisen.
Im ersten Teil desselben , der den Titel „Cosmos" führt, studiert
der durch zahlreiche, auch in Jen Kreisen seiner Fachgenossen anerkannte
naturwissenschaftliche Studien bekannte Gelehrte das
physische und das von der Hochschulwissenschaft vernachläßigte
„pneumatische" Universum. Er betont (mit Flammarion) die Bewohnbarkeit
gewisser Weitkörper und das sehr wahrscheinliche Vorhandensein
menschenähnlicher Geschöpfe auf anderen Planeten
(und zwar nicht allem in unserem Sonnensystem), sowie (mit Huxley
und Renouvier) die Möglichkeit der Annahme für uns unsichtbarer,
dem Menschen teils gleicher, teils unter oder über ihm stehender
Wesen. Der zweite Teil „Die irdische Menschheit" befaßt sich
näher mit dem ven der prähistorischen Altertumskunde vielfach
verkannten primitiven ^Urmenschen", weiterhin mit der von den
Archäologen zu stark in den Vordergrund gerückten verwilderten
Menschheit und schildert hierauf, mit dem Ursprung mythologischer
Vorstellungen beginnend, die Entwicklung religiöser Ideen bei
den Kulturvölkern bis zur Erscheinung Jesu Christi, in welchem er
einen aus einer höheren Welt auf die Erde herabgestiegenen, in
< inem Mutterschoß verkörperten, sehr überlegenen Geist erblickt.
Die Ansicht des Psychologieprofessors Binet-Sanglä, der in
*einem dreibändigen Werk: „La Folie de J£sus" wissenschaftlich
nachgewiesen zu haben vermeint, daß der Nazarener, ähnlich wie
der angebliche Buddha, Mabomet und andere „Propheten", ein ausgesprochener
, einer degenerierten Familie mystischer Frömmler entsprossene
! Narr gewesen sei, widerlegt Verf. mit dem Nachweis, daß
ciie allerdings supernormale Veranlagung Jesu, die ihn zum Gedankenlesen
, zum Krankenheilen durch Berührung und auf Distanz,
ja zu dem wunderbaren Phänomen der ,,Bilokation" befähigte,
keineswegs als gewöhnliche Verrücktheit charakterisiert werden
kann, wenn man nicht (mit Lombroso) in jedem Genie Wahnsinn
finden will. Wo ist aber, fragt Verf. mit Eecht, ein wirklicher Narr
je so berühmt geworden oder hat auf die Entwickelung und die
Geschicke der ganzen Menschheit einen auch nur ähnlichen Einfluß
ausgeübt, wie dieser Jesus ? Aber wollte man auch seinen normalen
Verstand oder gar seine Existenz bezweifeln, so würde doch die
nach ihm genannte Lehre des Urchristentums, dessen durch falsch
gedeutete Dogmen getrübte Reinheit der nach freimaurerischeni
Vorbild organisierte Neugnostizismus eben erneuem und frisch beleben
will, an ihrer erhabenen, ewig schönen Wahrheit von der Allmacht
der Liebe nichts verlieren. Der dritte Teil des Werks ,.Be-
freiung und Sammlung" behandelt nun des Näheren die Person und
das Leben Jesu Christi mit entsprechender Würdigung seiner geschichtlichen
Bedeutung und seiner Bolle als Führer zum „Himmelreich
", bezw. in eine „himmlische Stadt". Das Geheimnis dieses
tiefsten „Mysteriums" besteht eben darin, zu wissen, daß die
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