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Hänig: Wege und Ziele des Spiritismus. 297
das irdische Bewußtsein (a) verhält sieh zum transzendenten
(b), wie der irdische Charakter ^at) zum transzendenten (bx);
ersteres dem Menschen natürlich bewußt, letzteres unbewußt.
Wir hätten dann zwei parallel laufende Faktoren, welche die
Frage nach Ubergängen zwischen ihnen nahelegten. Der
Ubergang (hier nicht im eigentlichen Sinne) von dem transzendenten
zum irdischen Charakter ist schon gelegentlich
berührt worden: es käme hier ev. die genial-ursprüngliche
Anlage in Betracht, die wir bei den bedeutendsten Individuen
finden und die ihnen den charakteristischen Platz in
der Geschichte des Volkes anweisen, in das sie eingetreten
sind. Daß ein Ubergang vom transzendenten zum irdischen
Bewußtsein im vollen Umfange bei Lebzeiten des Menschen
nicht eintreten könnte, liegt auf der Band; vielleicht könnten
wir aber hierbei an das örtliche und zeitliche Fernsehen
denken, das schon früher erwähnt worden ist. Dazu kommt
aber noch ein anderes: es liegt nahe, hierzu auch die höheren
religiösen Gefühle zu rechnen, die unter dem Namen der
Mystik*) bekannt sind (die christliche „Gemeinschaft mit Gott"
cfr. Goethe's fJBekenntnisse einer schönen Seele* in „Wilh.
Meister's Lehrjahre*). Wir wissen, daß viele Vorstellungen
von einem Gefühle begleitet sind; setzt sich nun das Bewußtsein
aus einer Summe von Vorstellungen zusammen, so
könnten wir analog dem Transzendentalbewußtsein auch ein
eine ähnliche Erklärung nicht ausgeschlossen; aber es läßt sich, soweit
ich wenigstens sehen kann, auch so keine Verbindung zwischen
Stoff und Leben herstellen, indem man letzteres aus ersterem erklärt.
Ein Teil der neueren Philosophie sucht daher den Ausgangspunkt
dieses Dualismus in dem erkennenden Subjekt selbst, dem sieh dann
Geist und Materie als verschiedene Anschauungsformen desselben
Dinges (Attribute einer unbekannten Substanz) darstellten; eine Anschauung
, die, wie genauere Betrachtung lehrt, den Gedanken der
Unsterblichkeit des Menschen (d. h. des Eingehens in das göttliche
All Selbstbewußtsein nach Aufhebung der individuellen Erscheinungsform
) keineswegs ausschließt, sondern geradezu zur Voraussetzung
hat.
*) Anm.: Man könnte allerdings von hier aus einwenden, daß
es noch andere Wege zur Aufklärung über die hier in Betracht
kommende Frage gebe, als die hier berührte experimentelle, insofern
als der Mensch imstande sei, schon auf der Erde in höhere Bewußtseinsstufen
einzugehen und dabei auch einer entsprechenden
Kenntnis teilhaftig zu werden. Die Möglichkeit einer solchen Erkenntnis
mag theoretisch zugegeben werden, obwohl wir ihr nach
den Erkenntnissen, welche die Theosophie angeblich auf diese
Weise gewonnen hat, nur kritisch gegenüberstehen müssen; für die
vorliegende Arbeit, wo der Begriff „Spiritismus" mit Rücksicht
auf das trübe Bild, das seine Geschichte zeigt, absichtlich
als Experimentalwissenschaft im engsten
Sinne gefaßt ist, kann diese Art des Erkennens natürlich nicht
in Betracht kommen.
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