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jMeißner: Das logische Bedürfnis in höh. Synthese zu vereinigen. 423
Menschheitsgeschichte feststellen, daß zu allen Zeiten die
Menschheit von „Wundern* gesprochen hat. Man will das
seitens materialistischer Gelehrten auf eine von frühester
Zeit an bestehende Rückständigkeit im Denken vieler
Menschen, auf den Aberglauben der Menge, der bis in unsere
.Zeit hinein sich erstreckte, zurückführen. Das wären noch
atavistische Rüekständigkeiten im Denken des Menschen
.aus der Zeit seines tierischen Ursprungs, wo nur der Instinkt,
eine dumpfe Ahnung, die schließlich bis zum Glauben sich
verdichtete, aber kein Wissen vorhanden war. Der Mensch
sah sich den ihm ganz unbekannten Naturgewalten und
Kräften gegenüber und fürchtete sie und bevölkerte angeblich
infolgedessen in seiner Phantasie die Erde mit den
erträumten Gegenständen seiner Furcht oder auch seiner
Verehrung und Anbetung. Aber eine solche Vorstellung
vom Menschen und von den durch seinen Aberglauben erst
entstandenen einzelnen Religionsideen geht wohl nicht an.
Einmal ist sicherlich nicht der Mensch bloß ein höherer
Abkömmling der Tierwelt; und dann hinwiederum gibt es
das zu bedenken: als die wichtigeren Religionsideen der
Menschheit auftauchten, als sich besondere Religionsgesellschaften
auf der Erde bildeten, um diese Ideen zu vertreten,
da war die Menschheit keine ganz rohe Masse mehr, da
machten sich schon reichlich Zeichen der Kultur bei ihr
bemerkbar. Und namentliph waren die Herrschenden unter
ihnen, vor allen die Priesterkaste, als oberste Priester,
Gesetzgeberund Kriegsherren, die oft zugleich das Führeramt
im Volke inne hatte, mit für damalige Zeiten nicht
gewöhnlicher Bildung und Kenntnissen versehen; das mußten
sie schon sein, denn sonst hätten sie nicht das Führeramt
über die großen Volksmassen an sich reißen können. Und
trotz ihrer viel größeren Bildung und Kenntnis des damals
schon bekannten gesetzmäßigen Naturwaltens sprachen sie,
•diese Fürsten, Gesetzgeber und Priester, in ihren Religions-
sy-temen, wenn sie dem Volke Gott oder sonst eine höhere
Macht, die über den Menschen stände, vorführten, von
diesem oder von mehreren Göttern fast stets in einer Weibe,
wie wenn sie jenen oder jene persönlich gesehen hätten
und gaben ihnen ganz menschliche Gestalt. Sie berichteten
davon, daß sie von Gott oder seinen Abgesandten und
Engeln, die mehr oder weniger in leuchtender Gestalt oder
wie gekleidet in weiße Gewänder, ihnen erschienen wären
(ähnlich wie heutzutage bei glücklich gelungenen Materialisationssitzungen
einzelne uns vor unsere leiblichen Augen
tretende leuchtende menschliche Phantome und Astralgestalten
), direkt inspiriert worden wären, ja übermittelten
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