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502 Psychische Studien. XXXIX. Jahrg. 8. Heft. (August 1912.)
Gott und Wissenschaft. Von E. von Cyon. I. Psychologie der
großen Naturforscher Autorisierte deutsche Ausgabe. Mit Bildnis
des Verfassers. Leipzig, Veit & Co. 1912 (XIV -\- 154 S. gr.
8°. Preis 3 M.).
Dr. E. v. Cyon, Professor der Physiologie in Petersburg, ein
Meister als Experimentator, der Entdecker der Herznerven und Erklärer
der bisher rätselhaften Verrichtungen der Gefäßdrüsen in
ihren Wirkungen auf Herz und Kreislauf, schildert hier aus seinen
Erfahrungen ein Stück Geschichte der modernen Wissenschaft. Er
beleuchtet den Verfall des Darwinismus, die Arbeitsweise Häckei's
und die ihm nachgewiesenen Fälschungen und kommt nach einem
Rückblick auf die Neugeburt der exakten Wissenschaften im Reformationszeitalter
und ihren mächtigen Aufschwung seit Cuvier,
Lavoisier, Galvani u. a. und dem Hinweis auf die philosophischen
und religiösen Anschauungen der bedeutendsten Vertreter dieses
Aufschwungs zu dem Schlüsse: Religion und Wissenschaft sind
gleichen Ursprungs und verfolgen gleiche Ziele. Wernekke.
Können wir noch Christen sein? Von Rudolf Eucken. Leipzig,
Veit & Co. 1911 (236 S. 8°. Preis 3 M.).
Mit; der ihm eigenen Lebendigkeit der Reue und Wärme der
Empfindung rechtfertigt der Verf. von neuem — denn seine dankbar
aufgenommenen früheren Schriften sind in demselben Sinne gehalten
— die Forderung einer Erhöhung des Geisteslebens der
Gegenwart. Weder durch die naturwissenschaftliche Forschung,
noch durch die sozialen Aufgaben, noch durch die Pflege der verschiedenen
Kunstgebiete, wie Wertvolles nach jeder dieser Richtungen
auch ableistet worden und noch zu erstreben ist, kann eine
solche Erhöhung herbeigeführt werden; sie kann nur geschehen
durch bewußte Teilnahme an dem Leben des Alls, an dessen dem
Menschen weit überlegenem Geistesleben. Zu diesem Ziele führt die
Religion, und da das Christentum den Grundgedanken von der
Ueberlegenheit des Geisteslebens, obgleich er allen höheren Religionen
gemeinsam ist, mit besonderer Kraft erfaßt, so ergibt sich,
gegenüber „der Unmöglichkeit einer Reform innerhalb der vorhandenen
Kirchen" die „Unentbehrlichkeit eines neuen Christentums
", zu dessen Gewinnung die immer dringlicher verlangte
Trennung von Staat nnd Kirche nur förderlich sein kann.
W e r n e k k e.
Vom geistigen Leben und Schaffen von CarlBecker. Oktav, 164 S.,
Hugo Steinitz Verlag, Berlin 1912. Brosen. 1.50 M., geb. 2.25 M.
Das Buch ist die Weiterführung der Gedanken de* vorauf -
egangenen Buches „Die moderne Weltanschauung" vom selben
rerf. und eine vorzügliche Einführung in die Philosophie des
Geisteslebens. Es steht auf naturwissenschaftlichen Grundlagen
und führt alles bewußte Geistes- und Seelenleben auf seine unbewußten
Anfänge zurück. Diese wurzeln im Allleben der Natur
und sind identisch mit den Naturkräften und -Gesetzen, welche das
All schufen und die Lebewesen als Persönlichkeiten entstehen
ließen, erhalten und weiter entwickeln. „Die geistigen Vorgänge
im Menschen" sind daher nicht für sich zu erforschen und zu erklären
; „die geistige Entwickelung im Zusammenleben" ist parallel
gegangen derjenigen der übrigen Wesen, nur eine höhere Stufe derselben
, und „das geistige Leben der Menschheit" ist eine bewußt
gewordene Weiterführung der den Wesen unbewußten Naturentwickelung
. „Das Individuum" mit seiner „Vorstellung vom Ich",
seiner „Individualität", seinem „Willen und seiner Freiheit", die im
Genie ihre höchste Entwickelung erleben, ist relativ eine Welt für
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