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510 Psych. Stadien. XXXIX. Jahrg. 9. Heft. (September 1912.)
weil viele Leser die Echtheit der zu erwähnenden Aussprüche
bezweifeln würden.
Um zunächst in jeder Beziehung im Fahrwasser
SchlaucherFs zu bleiben, sei über das Experiment berichtet,
durch welches die Behauptung von der Existenz einer
Rückenmarkseele über den Haufen geworfen wurde. Auf
die Existenz einer solchen Seele glaubte nämlich ein Physiologe
aus dem Verhalten eines geköpften und gleich
hinterher auf besondere Weise mißhandelten Frosches
schließen zu müssen. Ein Gegner dieses Gelehrten entkräftete
nun aber dessen Behauptung durch das folgende
Experiment: „Ein Frosch wird geköpft und langsam gekocht
. Zur vollen Exaktheit des Experimentes gehört,
daß ein Frosch, der sich noch seines Kopfes erfreut, mitgekocht
wird. Nun ergibt sich, daß der geköpfte Frosch
sich ruhig kochen läßt, ohne, gleich seinem vollständigeren
Schicksalsgenossen, gegen sein Unglück anzukämpfen.
Schluß: es gibt keine Rückenmarkseele; denn wäre eine
da, so hätte sie die Gefahr der steigenden Hitze merken
und auf die Flucht denken müssen." Also wörtlich zu
lesen in Fr. A. Lange's „Geschichte des Materialismus44,
2. Aufl., IL Bd., S. 346.
Daß die in Rede stehende Logik bei den "V ivisektoren,
insofern sie vom Tier auf den Menschen schließen, überhaupt
eine große Rolle spielt, liegt auf der Hand. Nur
selten stößt man hier auf richtiges Denken und Auslassungen
wie diese: „Wir werden nicht zum Ziele kommen,
wenn wir uns nicht entschließen, Versuche an Menschen
anzustellen . . . Aber auch die Versuche an Menschen
dürfen wir nicht übersehätzen. Auch sie geben uns nicht
die volle Wahrheit, sondern bringen uns nur einen
Schritt näher. Eine ähnliche Kluft, wie sie zwischen Tier
und Mensch besteht, tut sich uns auf zwischen kranken und
gesunden Menschen44 (Dr. H. Kerschensteiner im „Deutschen
Archiv für klinische Medizin" 1903, Bd. 75). Diese Ansicht
kann, nebenbei bemerkt, für die leidende Menschheit
sehr ungemütliche Folgen haben und hat sie für „Arme
Leute in Krankenhäusern4' (Titel einer furchtbaren, vom
Münchner „Verein gegen Vivisektion" herausgegebenen
Anklageschrift) auch bereits gehabt. Und daß die Freiheit
der Wissenschaft, wie es eine gesunde Vernunft fordert,
sich nur auf das Denken, nicht aber auch auf das Handeln
beziehen darf, dafür wird uns selbst die Staatsgewalt nicht
garantieren können, weil in diesem Falle, ganz in Übereinstimmung
mit der „Gelehrtenlogik", die Angeklagten zugleich
die Richter wären, das heißt in die Hände ihrer
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