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M. K.: Die soziale Bedeutung des Okkultismus. 545
verlangten Heilmittel. Der Eindruck auf das Medium war
oft so stark, daß dasselbe tagelang krank war. —
Wem der Gedanke einer wirklichen astralen Erkrankung
zu ungeheuerlich ist, um sich mit ihm zu befassen
, der kann sich die Tatsachen auch folgendermaßen
erklären: Der Hinübergegangene fühlt sich noch vollkommen
als Persönlichkeit, weiß oft nicht einmal, daß er
gestorben ist und steht noch völlig unter dem Eindrucke
seiner letzten Krankheit. In der Welt der realisierten
Vorstellungen, in die er jetzt eingetreten ist, verwirklichen
sich auch diese Krankheitsvorstellungen und weichen nicht
eher, als bis er die Vorstellung der Gesundheit gewonnen hat.
Eine solche Ansicht wird vielen ernsten Christen, die
den Tod als die Eingangspforte entweder zu himmlischer
Vollkommenheit oder zu ewiger Verwerfung betrachten
und denen diese Vorstellungen zu lieben Denkgewohnheiten
geworden sind, gewiß absurd und lächerlich erscheinen
. Ihnen muß gesagt werden, daß der Zustand des
Menschen nach dem leiblichen Tode sicherlich abhängig
ist von elementaren, in ihm selbst begründeten Gesetzen
und nicht von außer ihm durch Menschen nach ihren
Wünschen konstruierten Dogmen.
Das, was unseren Gebildeten immer noch allzusehr
abgeht, ist die Fähigkeit der Anwendung naturwissenschaftlichen
logischen Denkens auch auf das übersinnliche,
die ja allerdings durch den bisherigen Bildungsgang der
meisten von ihnen nicht gerade gefördert wurde. Stellen
wir uns vor, daß ein Arbeiter, der sein Lebtag unter
drückenden wirtschaftlichen Verhältnissen gelitten hat und
dadurch verbittert ist, schließlich auch im Alter bei verminderter
oder aufgehobener Erwerbsfähigkeit keine Ruhe
und Erholung tindet, sondern bis an sein Ende mit Widerwärtigkeiten
aller Art zu kämpfen hat, so ist leicht einzusehen
, daß diese Verbitterung sich auch auf seinen
seelischen Menschen im Jenseits übertragen und ihn lange
Zeit am Fortschritte bindern wird.
Hat er dagegen, im Genuß einer Invaliden- oder
Altersrente, noch einige Jahre ruhigen und beschaulichen
Lebens vor sich, so werden sich die Wogen der Unzufriedenheit
allmählich glätten. Das Gute, das er doch auch
genossen hat, wird unter dem verklärenden Einflüsse der
Zeit an Bedeutung für ihn gewinnen, und wenn er schließlich
abscheidet, so ist die Bahn eines gedeihlichen, geistigen
Fortschrittes schon von ihm beschritten, und es wird ihm
leichter werden, sich in den so gänzlich veränderten Verhältnissen
zurechtzufinden.
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