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Literaturbericht.
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der inneren Zusammenhänge der Welt in der Uebertragung der auf
dem Wege der inneren Wahrnehmung in uns selbst erkannten Erscheinungen
auf die Dinge der Außenwelt beruht: daher unsere
Kenntnis von den geistigen Vorgängen bei unseren Mitmenschen,
unsere Ansicht von der Zweckmäßigkeit der organischen Welt,
unser Kraftbegriff in Anwendung auf die unorganische Welt. Mit
der Ueberzeugung von dem tatsächlichen Vorhandensein solcher
dem menschlichen Wesen entsprechenden Vorgänge in der Umwelt
und im Weltganzen ist aber auch die Vorstellung von dem tatsächlichen
Vorhandensein „eines sich bestimmte und mit bestimmten
Mitteln zu erreichende Erfolge vorstellenden Etwas", eines wollenden
und vorstellenden Wesens gegeben. Diese Gottesvorstellung
bildet den alleinigen Schlüssel zum Weltverständnis, und als Ausfluß
dieser unabweisbar zu setzenden Urvernunft erscheint wiederum
die menschliche Vernunft. Hier nimmt nun des Verfassers Gedankengang
die mystische Wendung, daß das Verständnis der
göttlichen Ürvemunft dem Menschen, dessen Denken sich in der
ISprache, im Wort, im Logos" bewegt, nur dadurch unmittelbar
nahe gebracht werden konnte, daß Gott selbst als „ Logos * *) zur
Menschheit herabstieg, mit der frohen Botschaft von der all-umfassenden
Liebe. Danach sind die Lehren der christlichen Religion
„nicht nur den Bedürfnissen des Gemüts mehr angepaßt, sondern
auch in ihrem metaphysischen Kern und Aufbau tatsächlich wahrer
Wissenschaft näher kommend, als die der Philosophie". Es geht
eine wohltuende Wärme von diesen Betrachtungen aus, und wenn
auch damit Weg und Zi°,l der Erkenntnis nicht völlig erleuchtet
werden, so ist zu bedenken, daß das blendende Licht des Naturalismus
dies noch weniger zu tun vermag. Wernekke.
Croquis scientffiques et philosophiques. Von Jollivet Oastelot.
Kl. 451 S. Paris 1912, Hector u. Henri Durville, Verleger.
Dieses sehr lesenswerte Buch enthält eine Reihe von Artikeln,
welche in den Jahren 1896 bis 1912 als Gelegenheitsschriften entstanden
sind. Hie behandeln die verschiedenartigsten Fragen des
Okkultismus, der -Naturwissenschaft, der Philosophie und der {Soziologie
. Der Verfasser ist als der Herausgeber der „Nouveaux
horizons" den Lesern unserer Zeitschrift kein Fremder, und sein
weiter Bück, durch keine Voreingenommenheit getrübt, ist höchst-
lich zu loben. Von allen lebenden Franzosen ist er zur Zeit viel
leicht derjenige, welcher am wenigsten Patriotismus mit Chauvinismus
verwechselt. Jede Zeile seiner mannigfaltigen Schriften verrät
•*•) Es sei bei dieser Gelegenheit die Bemerkung gestattet, daß es
keineswegs zutreffend ist, zu meinen, der Anfang des Johannes-Kvangeliums sei
von Luther mangelhaft übersetzt in der Fassung: „im Anfang war das
Wort" Xicht nur Hie Luthei'sche und spatere deutsehe Uebersetzungen,
sondern alle getreuen rebersetzungen , selbst die ältesten , deren Sprache
und Sprachgefühl dem Orig'nal besonders nahe standen, geben „Logos"
wieder durch „Wort''. l>ie Veranlassung und Berechtigung dazu kann
natürlich hier nicht auseinandergesetzt weiden. Wernekke.- - [Unterzeichnetem
scheint die Gegenansicht („Geist", Vernunft") deshalb doch näher zu
liegen, weil die Semiten von Tiause aus („El" der Geist der Wüste!) der
rein spiritualistischen Anschauung huldigten, daß „Gott" der absolute „Geist"
ist, der die ganze sichtbare Welt wie eine tata morgana aus dem Nichts
ei schafft, und auch Jesus lehrte: „Gott ist ein GeKt" übw. jene Ueber-
setzer nahmen eben „logos" in der ihnen geläufigen und häufigsten Bedeutung
\on ,,Wort" {=- ausgesprochener Gedanke), während ihnen die Grundbedeutung
(vgl. Logik) überhaupt noch nicht recht bewußt war. —Maier.•
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