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v# Rechenberg-Linten: Unmittelbares Ich-Bewußtsein und Tod. 735
sich die Organe ihrer Tätigkeit, wenn man so sagen will.
Ich kann mir sehr wohl meinen ganzen Körper, mein Gehirn
wegdenken, die inneren Tätigkeiten meines unmittelbaren
Ich-Bewußtseins werden dadurch durchaus nicht
berührt. Ihre Vorstellbarkeit ist dadurch durchaus nicht
beeinträchtigt.
Ganz anders verhält es sich dagegen, wenn ich beginne,
die Außenwelt zu betrachten. Da fühle und merke ich
sofort, daß zwischen „mir* und der „Außenwelt* ein etwas,
ein Zwischending, ein Mittel sich befindet, ein Vermittler,
und daß ich diese Außenwelt gar nicht unmittelbar, sondern
in der Regel eben nur vermittelst dieses Mittlers wahrnehmen
kann. Dieser Vermittler ist der Körper, genauer
genommen das Gehirn, weil nach unseren physiologischanatomischen
Kenntnissen in ihm die Sinnesnerven, hier
also die sensiblen, zusammenlaufen, welche dem Gehirn die
Eindrücke der Außenwelt übermitteln. Aus dieser Tatsache
wird nun mit Recht geschlossen, daß das unmittelbare Ich-
Bewußtsein im Gehirn mit der Außenwelt, genauer gesagt,
mit den Nerven der Sinnesorgane m Beziehung tritt. Das
braucht natürlich nicht immer der Fall zu sein, doch ist es
wahrscheinlich die Regel. Und es bedeutet ferner, daß das
Wissen oder Bewußtsein von der Außenwelt in mir kein
unmittelbares ist, also seinem Wesen nach ein anderes ist,
als das, welches ich von meinem unmittelbaren Ich-
Bewußtsein habe.
Ferner nehme ich im Unterschiede von meinen „inneren"
Willenshandlungen, die sich ganz unmittelbar und offensichtlich
ohne wahrnehmbares Organ vollziehen und in die
Tat umgesetzt werden, welches die Bewegung des Denkens
ist, wahr, daß ich in Beziehung auf die Außenwelt meinem
Willen nicht unmittelbar und schrankenlos folgen oder ihn
in die Tat umsetzen kann. Wenn „ich* auf die Außenwelt
wirken will, so bedarf mein Wille hier eines Organes oder
Mittels. Dieser Mittler ist wiederum der Körper, der
zwischen „mir* und der „Außenwelt" eingeschaltet ist, und
um den Körper entsprechend meinem Willen in Bewegung
zu setzen, muß ich auf die entsprechenden Muskeln einwirken
, diese werden aber wieder von den motorischen
Nervensträngen vom Gehirn aus geleitet. Ich muß also
annehmen, daß es wieder das Gehirn ist, vermittelst welchem
mein unmittelbares Ich - Bewußtsein wahrscheinlich und in
der Regel in Beziehung tritt, um auf die Außenwelt einzuwirken
.
Wird das Gehirn und der Körper teilweise oder ganz
zerstört, so fällt damit für mein unmittelbares Ich-Bewußi-
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