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34 Psychische Studien. XXXX. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1913.)
gehalten zu werden/ Auch diesem Manne ist der Wunsch
vor der Tat Gevatter gestanden. Er träumte zuerst das,
was er auszuführen noch nicht wagte. Da er den Traum
als eine Mahnung der Götter auffassen konnte, löste der
Traum möglicherweise eine Tat aus, die wahrscheinlich auch
ohne Traum geschehen wäre. Vielleicht nur einige Zeit
später. Der Traum ist ein Ungeduldstraum. Der Träumer
kann es kaum erwarten, seine Frau zu verkaufen und den
Gewinn einzuziehen. —
Von der Traumdeutekunst der Orientalen könnte man
auch manche köstliche Probe geben. Ich beschränke mich
auf die Mitteilung eines Schwankes von Buadcm, der nach
Dr. Müllendorf nur ein von dem Heransgeber Mehemed
Tewsik gefundener Deckname für den bekannten Schwänke-
dichter Nassr-ed-din ist. Dieser türkische Eulenspiegel
soll im XIV. Jahrhundert gelebt haben.
In schlagender Weise legt der folgende Schwank dar,
daß der Traum eine Wunscherfüllung ist: ßuadem war
kaum fünf bis «sechs Jahre alt, da erzählte er eines Morgens
seinem Vater lolgenden Traum: „Vater, heute nacht habe
ich im Traume Kuchen gesehen." „Mein Sohn, das ist eine
gute Vorbedeutung. (Im Scherz): Gib mir zehn Para und ich
will dir den Traum auslegen!* „Wenn ich zehn Para hätte,
so hätte ich nicht von Kuchen geträumt. * —
Eingehend beschäftigt sich Dr Stekel auch mit den
Träumen der Kinder und, im Vergleich mit diesen, mit den
Träumen der Tiere. „Die Kinderträume, schreibt er, sind
meistens durchsichtig und zeigen den Typus der Wunscherfüllung
in klarer Weise. Ich sage „meistens"! Denn ich
habe schon bei Kindern sehr komplizierte Träume gefunden,
die eine volle Anwendung der Symbolik und der Traumentstellung
zeigen. Eine andere Frage wäre: Wann fangen
die Kinder zu träumen an? Bekanntlich wird das reizende
Lächeln der Säuglinge von vielen Müttern als Traum aufgefaßt
. Die Ärzte sind realistischer und wollen darin nur
einen Reflexakt sehen. Wer kann hier ein entscheidendes
Wort sprechen? Ich halte es für möglich, ja sogar wahrscheinlich
, daß die Kinder vom ersten Tage der Geburt
an träumen. Die Anregungen des Tages werden im Unbewußten
fortgesponnen. Träumen doch bekanntlich auch
die Tiere, worauf besonders Santo de Sanctis hingewiesen
hat. Die Psychologie des Kindeslebens ist der Schlüssel
zum Verständnis des Erwachsenen. Der Traum des Kindes
soll uns dem Wesen des Traumes näherbringen. Wann
fängt das Kind zu träumen an? Das können wir nur bestimmen
, wie wir die Träume der Tiere zu verstehen
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