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Stekel: Moderne Traum deutekunst.
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Machen wir uns nur einmal die Situation unseres
Geistes im Traume klar. Während des wachen Lebens
strömen auf unsern Geist die Eindrücke der Außenwelt
ununterbrochen von allen Seiten ein, Gesicht, Gehör- und
Getast sind fast andauernd in Tätigkeit. In das Chaos
von Eindrücken, welche die Sinne uns vermitteln, müssen
wir von uns aus mittels einer besonderen Tätigkeitsform
unseres Geistes, die wir die Aufmerksamkeit nennen,
erst Ordnung hineinbringen. Wir greifen heraus aus dem
Wirrwarr, was uns interessiert, und verfolgen es, wir vernachlässigen
darüber Hunderte von anderen Eindrücken,
wir verfolgen unsere Wege und unsere Ziele unbeirrt durch
tausena Dinge, die wir auf unserem Wege zu sehen und
zu hören bekommen, und noch weniger beirrt durch all die
Vorstellungen und Gedanken, die sich an das, was wir
sehen und hören, in weiteren ungezählten Massen anknüpfen
.
Im Traum dagegen haben wir kein Ziel und keinen
Weg, den wir verfolgen, wir sind im Schlaf gesättigte
Existenzen im geistigen Sinne. Und wir lassen deswegen
dem Lauf der Vorstellungen, die sich etwa einstellen,
durchaus freie Bahn. Deswegen ist es möglich, daß uns
der Traum aus unserer Wohnstube unmittelbar auf die
Leopardenjagd nach Bengalen versetzt, wenn wir am Abend
in einer Zeitschrift blätternd den Kronprinzen mit dem
erlegten JKaubtier abgebildet gesehen haben, und das bunte
Fell läßt vielleicht das Bild des Sternenhimmels auftauchen,
und wir sind auf eine Sternwarte versetzt. Es Ist nicht
wahr, daß irgendein anderes Band zwischen diesen sich
jagenden Bildern vorhanden sein kann, als die zufälligsten
Beziehungen aus unserer Erfahrung, und diese Bilder selbst
können nichts anderes sein als dieselben Vorstellungen, die
sich auch im Wachen wohl an das anreihen, was wird erleben
, die wir aber im Wachen vernachlässigen, wenn sie
nicht zur Sache gehören, wenn sie also nicht auf dem Wege
liegen, den wir gerade verfolgen.
Aber die Vorstellungen unterscheiden wir doch im
wachen Zustande in jedem Augenblicke mit vollster Sicherheit
von den Wahrnehmungen. Sie verblassen durchaus
vor bloßen Bildern unserer Erinnerung und Phantasie.
Hier liegt das Problem des Traumes. Aber überlegen wir
uns doch nur, wie wir als Träumende dem, was sich
unserem Bewußtsein überhaupt darbietet, gegenüberstehen
. Doch ganz anders als im Wachen! Unser Urteil
muß getrübt sein, denn es fehlt jede Möglichkeit des Vergleichens
der Eindrücke.
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