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Stckcl: Moderne Traumdeutekunst.
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der wissenschaftlichen Welt die neue Traumdeutung von
Freud Die Anhänger der neuen Lehre verkünden sie
vielfach in Zeitschriften als eine anerkannte Errungenschaft
der Wissenschaft; deswegen ist es angebracht, an jedem
Orte für Laien darauf hinzuweisen, daß hier nach dem allgemeinen
Urteil im besten Falle eine Anregung vorliegt,
aus der vielleicht einmal für die Beurteilung einzelner
Nervenkrankheiten etwas herauskommt, wenn die Sache mit
nüchterner wissenschaftlicher Kritik untersucht sein wird.
Wir brauchen unsere Träume nicht zu fürchten, auch
nicht deswegen, weil sie, wie von Freud behauptet wird,
unsere wahre Natur enthüllen. Die Instinkte, die wir nur
künstlich niederhalten, besonders die sexuellen geheimen
Wünsche, sollen im Traum zum Vorschein kommen. Gehört
aber dieses Niederhalten unserer niederen Triebe nicht zu
uns selbst? Sind nicht im Gegenteil die höheren Motive,
die uns die Niederhaltung unserer Instinkte ermöglichen,
erst das wahre Menschliche in uns? So wenig wir im
Traum unsere Vorstellungen zu lenken vermögen, so wenig
kann da von einem Kampf der Motive die Rede sein, und
was sich allenfalls im Traum enthüllt, ist nicht die wahre
Natur, sondern es sind gelegentliche Wünsche und Beweggründe
, die wrir im Wachen absichtlich nicht aufkommen
lassen. Wir brauchen uns aber solcher Regungen nicht zu
schämen. Ist es doch unser Vorzug, daß wir sie niederzuhalten
vermögen.
Der Traum ist keine vollwertige Geistestätigkeit, er ist
vielmehr nur ein mißglückter Versuch zur Bewußtseinsarbeit
. Der Geist ruht im tiefen Schlafe wahrscheinlich
vollständig. Dps Einschlafen und die verschiedenen Etappen
des Erwachens sind übergangszustände, in denen der Geist
seine aktiven Fähigkeiten noch nicht zur Verfügung hat,
wo alles, was sich ihm bietet, hingenommen wird und sich
durchsetzt, wo alle Widerstände fehlen, und da entstehen
die Gebilde des Traumes, flüchtige, wertlose, ungeordnete
Bewußtseinserscheinungen. Was da erscheint, wird maßlos
überschätzt, sinkt aber ebenso schnell, wie es gekommen
ist, wieder in den Hintergrund, wenn ein neues Bild auftaucht
. Nichts wird festgehalten und verfolgt, es ist kein
Weg und kein Ziel der Arbeit da. Das ist der Traum,
lediglich ein Versuch der Bewußtseinsarbeit."
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