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44 Psychische Studien. XXXX. Jahrpr. 1. Heft. (Januar 1918.)
dividueller Schädigungen des äußeren Selbst. Die gewöhnliche
Konsequenz der Auffassung ist nämlich die, daß man
einerseits an eine Bestrafung der Rücksichtslosen bezw.
Maßlosen durch einen „persönlichen Gott" glaubt, spätestens
im „Jenseits", andererseits, das man ihre schon im „üie-
seits" eigenmächtig bewirkte Bestrafung, die an sich natürlich
nichts Besseres ist als einfach Notwehr und Notbehelf,
mit der Feierlichkeit einer gottgewollten Handlung umkleidet
.
Nun gibt es aber noch eine hiervon wesentlich verschiedene
Schlußfolgerung aus der gleichen Voraussetzung,
daß jene Art von Egoismus nicht die wahre Menschennatur
sei, mithin eine weitere Erscheinungsform von „Gläubigkeit4
*. Diese meint, es sei alle Grenzüberschreitung der
Ausfluß eines naturgemäßen Lrsatzbedürfinsses, die gesetzmäßige
Reaktion einer krankheitsähnlichen Gleichgewichtsstörung
(mithin eines Leidenszustandes, der als solcher
Mitleid erheische!) an anderem Orte: an jenem zweiten
Wesensteile des Gesamtmenschen, den man Geist oder sittliches
Bewußtsein, auch Innenleben, Gemüt, Gewissen
nenne. Wolle man nun über „Glück" sprechen, so müsse
vor allem aufs schärfste zwischen den Lustempfindungen
unseres animalischen Bewußtseins und der Harmonie
unserer Geistesverfassung unterschieden werden, denn die
letztere, das „Innenglück14 sei stets als um genau so viel
unter das Normalmaß herabgesunken zu betrachten, wie
der Besitz an äußeren Werten — eben als die gesetzmäßige
Reaktion davon — wirklich das Maß des Berechtigten
bezw. zum wahren Vorteil Ausnutzbareu überschreite
, sodaß die Gesamtsumme des Lebemglüeks jederzeit
bei allen Menschen die gleiche sei, von einem Zukurz-
kommen anderen gegenüber überhaupt nicht die Rede
sein könne, vielmehr nur von einem mangelhaften
Prozentsatz des Jnnenglücks beim einzelnen, dem abzuhelfen
in erster Linie dessen eigene Angelegenheit sei
und im unmittelbarsten schon diesseitigen Interesse eines
jeden liege!
Man bedarf keines großen Scharfblicks, um zu erkennen
, daß wenn überhaupt etwas, so nur ein Glaube dies
letzteren Inhalts, geeigner sein kann, „Erlösung" zu bringen;
denn die notwendige Schaffung des normalen Prozentsatzes
von Tnnenglüek fordert derselbe nicht nur, sondern ermöglicht
sie gleichzeitig und erweist sich dadurch als „von
allein werktätig* bezw. als „seligmachend44. Glaube ich
nämlich wirklich an einen solchen unmittelbaren Selbstausgleich
, so muß alles Bedürfnis schwinden, auf anderem
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