http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1913/0074
70 Psychische Studien. XXXX. Jahrg. 2. Heft. (Februar 1913.)
erschienen in Weiß gekleidete Gestalten, mit nackten Armen*
und Füßen. Nach Schluß der Sitzung prüfte man die Gewandung
des Mediums, welche auf besondere Weise zu*
sammengenäht war: nicht ein Fleckchen war verändert!
Trotzdem gab es unter den Anwesenden Leute, welche
nicht verfehlten, alles als Trick und Betrug zu erklären;
sie konnten nicht sagen wie, aber sie wußten, daß es so
sei! Solche Menschen sind durch nichts zufrieden zu stellen.
Sie werden sich der Schwierigkeiten, welche durch ihren
Skeptizismus geschaffen werden, erst bewußt werden, wenn*
sie in das jenseitige Leben eingegangen sind und in Berührung
mit der Wand kommen, die sie errichtet haben^
um sich von ihren hinterlassenen Lieben zu trennen. —
In unseren Privatsitzungen, vor welchen Mrs. Thomson
nicht erst in so schrecklichen Nervenzustand versetzt worden
war, erhielten wir wunderbare Resultate. Ich sah meinen
Bruder und sprach mit ihm. Manchmal nahmen wir zwei
Gestalten außerhalb dem Kabinett wahr, während man
Mrs. Thomson im Innern des Kabinettes sitzen sah.
Ich behaupte nun nicht, daß die Phänomene der
Mrs. Thomson immer authentisch sind. Ich glaube es.
Ich bin absolut sicher, daß sie außerordentliche Fähigkeiten
besaß und daß die Geister imstande waren, sich durch sie
zu manifestieren. Dies erinnert mich an einen anderen
festen Glauben meines Vaters: wenn auch ein Medium
beim Betrüge betroffen worden ist, so beweist das noch
nicht, daß es kein gutes Medium ist, das mitunter wunderbare
Gaben besitzt. Er war weit entfernt — und ich bin
es nicht minder — zu bestreiten, daß der Betrug die
Wirkung des Mediums verderbt; aber leider, so lange die
Mediumität ein Mittel zum Lebensunterhalt bilden wird,
so lange wird auch die Neigung zum Betrüge bestehen.
Kein Medium ist imstande, mit jedem Anwesenden zufriedenstellende
Resultate zu erhalten, — daher die Neigung,,
durch Tricks zu erhalten, was nicht auf spontane Weise
kommt, wenn man damit Geld verdienen kann. Mein
Vater besaß selbst die Gabe des automatischen Schreibens.
Er beschrieb das Phänomen folgendermaßen: „Automatische
Schrift nenne ich es, wenn ich mich in einen Zustand
geistiger Passivität versetze uncl mich, die Feder auf dem
Papier, zu schreiben anschicke; meine Hand schreibt dann
Botschaften, welche von weit entfernten Freunden kommen,,
gleichviel, ob dieselben noch inkarniert sind oder ob sie
schon die Veränderung erfahren haben, die wir Tod
nennen. Der Vorzug, Botschaften von solchen zu erhalten,
welche man lebend nennt, besteht darin, daß man sich von
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1913/0074