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92 Psychische Studien. XXXX. Jahrg. 2. Heft. (Februar 1913.)
der Verfasser seine Erklärungen nur auf die Genesis ausgedehnt
hat, wenn man seine Darstellungen nur als harmlosen
Eoman ansehen könnte, es verbirgt sich aber ein
Gift in dieser Lektüre.
Wohl verfährt der Verfasser nach dem Gesetze der
Analogie, wenn er seine Lesarten entwickelt, aber es ist
nur eine äußere Analogie, nur die der Schale, und das
wird klar, wenn man etwa die Goethe'sehe Auffassung zum
Vergleiche heranzieht. „Prüfe, vergleiche — daß du
schauest, nicht schwärmst!" ist Goethe's Forderung
.
Aus dem Chaos der Formen erkannte Goethe das
immer gleiche Gesetz, in der Frucht das ruhende Leben,
im vollendeten Baume die entfaltete Frucht, aber jede Form
war ihm heilig, in höchstem Maße die des menschlichen
Körpers, weil er in jeder Linie den schöpferischen Gedanken
zum Ausdruck bringt. Nun vergleiche man hiermit das gewaltsame
Hineinpressen der weichen biegsamen Gestalt in
die starren systematischen Formen der Tetraeders: es ist
^ine Kreuzigung in schmerzlichster Art. Hier waltet das
System der äußeren Analogie, dem sich der Gedanke
fügen muß; dort wird die innere Analogie
<les Gedankens in allem Äußeren erkannt. Dem Systeme
zu liebe wird alles so lange zermalmt, bis es hineinpaßt,
und ob sich neben dem Gefühl auch der Verstand
dagegen unwillig sträubt.
„Verachte nur Vernunft und Wissenschaft, des Menschen
allerhöchste Kraft, — so halV ich dich schon unbedingt!Ä
Und man kann sich des Gefühles nicht erwehren, daß der
Teufel hier einen unbedingt hat, und daß ihm leicht andere
zum Opfer fallen, die sich durch dieses gleißnerisch schöne
Trugwerk verblenden lassen. Es ist ein Irrlicht, das
manchem im Dunkeln Wandernden von weitem als trauliches
Heim erscheinen mag, und das ihn in die Sümpfe
lockt. —
Wozu endlich das Ganze? fragen wir uns. Der Verfasser
will, nachdem er das vorgefundene Material mit Gewalt
in seine vorher geschaffene Form hineingezwängt hat,
uns diese als das eigentliche Tatsachenmaterial des alten
Testamentes vorlegen; er scheut nicht vor den Konsequenzen
zurück, auch in Christus ein hypnotisch beeinflußtes
Werkzeug jener geheimen Prätendentenfamilie
darzustellen, als einen „ überschwenglich inbrünstig Familiengläubigen
, unschuldig betrügenden Betrogenen*. Möge e r
sich mit diesem Tatsachenmaterial begnügen, mir genügt es
nicht. Mir ist alles, sei es alt oder neu, erscheine es in
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