http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1913/0099
Waiblingen Idealistische Naturwissenschaft.
95
ho ausgedehnten Publikums rühmen, wie heute die Naturforscher
. Die moderne Naturwissenschaft zeichnet sich
ferner noch durch einen höchst beachtenswerten Faktor
ihres Lebens aus: das ist der „humanistische Geist" (wie
Bölsche ihn nennt), der sie heute zu durchdringen beginnt.
Es sei gleich bemerkt, daß wir unter diesem „humanistischen
Geist" nicht dasselbe verstehen wie Bölsche. Aber vorläufig
kommt es nur auf Bölscbe's Umgrenzung des Begriffes an.
Humanisierte Naturwissenschaft erscheint manchem, sagt
Bölsche mit Recht, als unlösbarer Widerspruch. Welche
Verbindung führt von alten Sprachen, Geschichte, Ästhetischem
, klassischer Tradition, allgemeinen Kulturregeln
hinüber zur Naturwissenschaft, wie sie im Realgymnasium
gepflegt wird, in einer Schul weit, die von der des Gymnasiums
— ich persönlich spreche aus eigener pädagogischer
Erfahrung — so völlig verschieden ist? Und doch, fährt
Bölsche dann fort, ist ,,Humanisierungtf ein allgemeiner
Geistesvorgang, anwendbar auf jede Fachwissenschaft. Er
bedeutet Ubergang, Erhöhung dieser spezialistischen Fachwissenschaft
in ein breiteres Menschheitsfach, Kulturfach.
Nicht den Wert des Spezialistentums tastet er an, aber den
Zielen und Ergebnissen der Spezialforschung gibt er einen
höheren Inhalt. Die Forschungsergebnisse ordnet er um
auf allgemeine Kulturziele. Er verleiht ihnen ordnend eine
ästhetische Form, die das rohe Kärrnerwerk adelt. Ihren
Anschluß an die andern Geistesgebiete arbeitet er heraus.
Universale Gedanken betont er im Gegensatz zum Kleinkram.
Unverständliches für den NichtSpezialisten wird in rastloser
Umwertung geglättet, ausgeschmolzen, übersetzt. Als letzte
Aufgabe erscheint überall der Eintritt in das Philosophische
und Ethische, der erzieherische Wert für einen Idealismus,
wie ihn unsere Kultur immerfort als Lebensluft ihrer Höhe
braucht. Die Naturwissenschaft hat lange Zeit keinen
Anschluß an diesen Segen gehabt, ist erst in unserer Zeit
reif zur Volkstümlichkeit geworden. Aber jetzt vollzieht
sich die humanistische und damit popularisierende Umbildung.
Humboldt, Helmholtz, Brehm haben Bahn gebrochen. Allmählich
beginnt man einzusehen, daß ein guter Stil, eine
klare und künstlerische Sprache nicht das Zeichen von
Oberflächlichkeit und Phantastik ist, sondern eine große
Tugend, eine notwendige Hilfe für die Darstellung, sofern
sie sachlich wirken, tief und haftend eindringen soll.
Wir sehen schon jetzt deutlich, wie Bölsche in erster
Linie das ästhetische Moment dieser Humanisierung hervorhebt
, den Schliff, die klare Sprache, die lockende Form.
Anderes erwähnt er nur sehr kurz, so das philosophische
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1913/0099