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96 Psychische Studiei*. XXXX. Jahrg. 2. Heft. (Februar 1913.)
und das kulturelle Moment. Bölsehe wendet sieh nun
ausschließlich der Ehrenrettung und dem Lobpreis seine*
eigenen Berufes zu, der Popularisation. Er hat sich vielleicht*
durch allerlei mehr oder minder berechtigte Angriffe ant
seine allzubreite Form, sein ungeniertes Urteil über Andersdenkende
zu einer solchen Defensive genötigt gesehen. Wir
begleiten diese pompöse Selbstverteidigung in aller Eile bis
zum Schluß: Der Fachforscher, gesteht Bölsehe zu, soll
immer den Vortritt behalten, wenn er von seiner Arbeit
dem Volk erzählen will. Vorausgesetzt nur, daß er sich
von jenem „humanistischen Geist* mehr und mehr durchdringen
und tragen läßt. Aber es wäre verkehrt, für den
Fall, daß sich kein Fachgelehrter zur Popularisation bereit
findet, auf alle und jede Mitteilung der wissenschaftlichen
Arbeiten, Probleme, Konsequenzen zu verzichten. Gar nichts
ist denn doch zu wenig für das Volk, den wissenschaftlichen
Hungertod verdient es nicht. Man wirft dem volkstümlichen
Darsteller vor, er trage veraltetes überholtes Wissen vor.
Aber dieser Einwand gilt auch allen zusammenfassenden
fachwissenschaftlichen Lehrbüchern. Jedes Fachlehrbuch
ist überholt, sobald es erscheint; ebenso veraltet auch das
sehr rasch, was die Spezialisten auf den Markt der Wissenschaft
bringen. Man schilt den populären Darsteller einen
Dilettanten. Aber jeder Fachmann kann auch nur auf
einem bestimmten Gebiete zuhause sein, und die Naturwissenschaft
ist sehr groß. Der Popularisator hat sogar
die Aufgabe, zwischen Fachleuten verschiedener Profession
den Austausch der beiderseitigen Leistungen zu vermitteln.
Die heutige Naturwissenschaft kann die Mitarbeit des Laien
nicht mehr entbehren. Praktiker, Gärtner, Sammler, Reisende
, Gelegenheitsbeobachter, Liebhaber aller Art sind für
die Faehforschung nötig. Des Popularisators Aufgabe ist
es nun, die genannten Freunde der Wissenschaft m Beobachtung
, Wiedergabe und Auswahl des Studienobjektes
zu schulen. Hochherzige Geldhelfer müssen interessieit und
orientiert werden. Wenn man hernach der volkstümlichen
Darstellung den Vorwurf macht, sie entziehe sich der Kontrolle
, so ist zu erwidern, daß die Popularisation einen
kleinen Staat für sich bildet, der sich selbst regiert und
reguliert, der seine eigene Kontrolle und sein eigenes Ge
wissen hat. Und dann gibt es gegen mancherlei Dünkel,
Personenkultus, übergroße Polemik, Zopferei und Erstarrung
nichts Besseres als die freibewegliche Truppe der zusammenfassenden
, für das Publikum verarbeitenden Darstellungskünstler
, die vor der ernsten und strengen Facharbeit
selbstverständlich den Hut zieht Schließlich schadet eine
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