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Waiblinger: Idealistische Naturwissenschaft.
gewisse Derbheit des Stiles, die gern dicke und bunte
Farben wählt, nicht viel gegenüber den oft noch groben
Sinnen der naturwissenschaftlich interessierten Gebildeten.
Auch das nicht unbeliebte Hereintragen von Weltanschauungsfragen
kann man bis zu einem gewissen Grade entschuldigen
. Wirkliche Mängel bestehen; aber sie sind
geringfügig, und wir leben in einer Ubergangszeit zum
Bessern.
Soweit Bölsche zur Definition und namentlich Verteidigung
der „populären Naturwissenschaft*. Wir glauben,
daß wir ihn redlich haben ausreden lassen. Der wichtigste
Begriff, den Bölsche in die Diskussion einführt, ist der der
„Humwiisierung*. Er versteht unter Humanismus: Schliff
der Sprache und guten Vortrag. Da er in diesen Dingen
Meister ist, sc nimmt uns nicht wunder, daß er sie an die
Spitze stellt. Nebenbei spricht er von Kulturwerten anderer
Art, die in diesem Humanismus verborgen liegen sollen,
nämlich von erzieherischen Werten. Und ganz zuletzt tritt
die Philosophie herzu und beansprucht Huldigung von
seiten des Humanismus. Wir sind mit Bölsche völlig einig
in der Wertschätzung der guten, an klassischen Mustern
geschulten Sprache, die für die sachliche Wirkung des
Inhalts unentbehrlich ist. Die Forderung, daß die Naturwissenschaft
philosophieren solle, möchten wir dagegen
lieber in die umgekehrte verwandelt sehen: die Philosophie
solle sich möglichst eindringend mit den Ergebnissen und
Fragen der Naturwissenschaft beschäftigen. Hier sprechen
wir im Sinne unseres verehrten Meisters Carl Stumpf in
Berlin, der diese Notwendigkeit in einem seiner gesammelten
Aufsätze ,l>ie Wiedergebt der Philosophie« fringend be-
iont. Was Bölsche mit den kultureilen Werten der
„humanisiertenÄ Naturwissenschaft meint, wird aus seinen
eigenen Ausführungen nicht deutlich. Er ist wohl auf dem
lichtigen Wege, ab^r er macht allzu früh Halt. Was dem
Aufsatz Bölsche's noch fehlt, was seine zweite Hälfte und
notwendige Ergänzung bilden müßte, ist nach unserer
Meinung der Entschluß: den Begriff des Humanismus
tiefer zu fassen, ja ihn völlig durch den zu ersetzen
, den er eigentlich im Sinne hat: durch den Begriff des
Idealismus. Denn der eigentliche Wert des Humanismus
beruht darauf, daß er die Erziehung zum Idealismus
fördern kann. „Kann* müssen wir allerdings unterstreichen.
Humanismus und Naturwissenschaft haben nur auf dem
Umweg über den Idealismus etwas miteinander zu tun,
von den wenig wesentlichen Dingen abgesehen, die Bölsche
nennt.
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