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ISO Psychische Studien. XXXX. Jahrg. 3. Heft. (März 1913.)
rückwärts geneigt; dann ließ ich es die Augen schließen
und legte Daumen und Zeigefinger der rechten Hand auf
die gesenkten Lider mit leichtem Druck auf die Augäpfel.
Sie schlief nach einigen Minuten. Das Gesicht war gerötet,
der Atem tief, Puls voll und langsam, die Augen geflossen
, der Körper schlaff — es waren die sicheren
Zeichen des Schlafes. Wenn ich versuchte, einen Arm zu
heben, fiel er schwer zurück. Ich drückte mit der Hand
auf die Stirne und rieb dieselbe langsam. Hierauf ging
die Schlafende in den somnambulen Zustand über, was ich
aus den starren Muskeln schloß. Ich richtete mehrere
Fragen an sie, allein sie antwortete nicht. Jch sagte ihr,
sie solle sich erheben, und alsbald stand sie auf den Füßen,
und mit offenen Augen ging sie, wohin ich sie wies.
In diesem Zustande wollte ich die Prüfung der allgemeinen
Sensibilität nochmals vornehmen und ich bemerkte
zu meiner Überraschung, daß sie völlig empfindungslos
{anästhetisch; war. Diese Empfindungslosigkeit war auf
der Oberfläche der Haut und tief. Wenn man sie an verschiedenen
Teilen des Körpers stach und wenn man Nadeln
in das Fleisch trieb, so wTurde dies nicht empfunden. Nach
dem Erwachen war von allem, was ich vorgenommen,
keine Erinnerung zurückgeblieben, auch nicht an die
Nadeln, die im Fleisch geblieben waren. Dieser Versuch,
den ich in der Folge mehreremale wiederholen konnte,
führte mich auf den Weg der Erklärung der Phänomene.
Fnsore Em . . . war nichts als eine Hysterische, welche im
Spiritismus ein fruchtbares Feld zur Nährung ihrer Neurose
fand.
Da es mir seit dem ersten Versuche so leicht gelang,
hypnotische Phänomene und die korrespondierenden Zustände
herbeizuführen, so war ich berechtigt zu glauben,
daß sich bei ihr Zustände des spontanen Somnambulismus
einstellten und Erscheinungen des Dedoublements der
Personalität, während welcher sie Nähuadeln, Stecknadeln
und andere Fremdkörper durch die Haut in die ihren
Händen erreichbaren Körperteile steckte. Es war auch
gerechtfertigt, anzunehmen, daß die flüchtigen Delirien und
halluzinatorischen Phasen, die bei Hysterischen so häufig
vorkommen, genügten, um die Phantome und andere übernatürliche
Phänomene zu erklären.
Die Nadeln, welche man in ihrem Fleisch fand, waren
nicht ein Werk der Geister; es war vielleicht anfangs zum
großen Teile nur eine von dem Mädchen inszenierte Geschichte
, um die Aufmerksamkeit auf ^ich zu lenken oder
um den Anschein eines geheimnisvollen Wesens zu er-
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