http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1913/0161
Stekel: Telepathische Träume.
157
Diese Anmeldungen kommen ohne Wunder zustande.
Meist handelt es sieh um schwerkranke Personen, die schon
im Sterben liegen. Einen solchen Traum, in dem ebenfalls
ein abgemagertes Kind vorkommt, haben wir schon analysiert
. Die Träumerin wußte jedoch, daß die Tante in
einigen Tagen sterben werde. Solche Tatachen beweisen
nicht das Wunder im Traume. „Das Schattenreich," sagt
Kant, „ist das Paradies der Phantasten. Hier finden sie
ein unbegrenztes Land, wo sie nach Belieben anbauen
können. Hypochondrische Dünste, Ammenmärchen und
Klosterwunder lassen es ihnen an Bauzeug nicht mangeln."
Auch einige bekannte Tatsachen, die in den verschiedenen
Traumbüchern erzählt werden, gestatten eine
einfache Erklärung. So träumte Armand de Villeneuve,
daß er von einem Hunde ins Bein gebissen wurde; einige
Tage darauf brach an dem Beine ein Krebsgeschwür aus.
Geßner träumte, es verwunde ihn eine Schlange an der
linken Körperseite, und auch bei ihm entstand nicht lange
nachher an der betreffenden Stelle ein bösartiges Geschwür,
an dem er starb. Macario glaubte im Traume ein starkes
Halsleiden zu haben; er wachte noch gesund auf, aber
einige Stunden später wurde er von einer heftigen Mandeldrüsenentzündung
befallen. Ein anderer, der im Traume
einen Epileptischen gesehen hatte, wurde bald darauf epileptisch
, und eine Frau, welche geträumt hatte, sie unterhalte
sich mit einem Stummen, fand beim Erwachen, daß
sie ihre eigene Stimme verloren hatte.* («Das Buch der
Wunder und der Geheimwissenschaften" von Dr. med. G.
H. Berndt, Verlag Oswald Mutze, Leipzig.)
In diesen Fällen handelt es sich um Organgefühle, die
in der Buhe der Nacht zu Traumreizen werden. Auch daß
Aufgaben im Traume gelöst werden, ist kein Wunder . . .
Das Gehirn arbeitet fortwährend und zwischen dem Einfallen
einer Lösung im Traume und am Tage sehe ich
keinen Unterschied. Ich habe also trotz gewissenhafter,
unvoreingenommener Prüfung noch kein einziges Beispiel
eines prophetischen Traumes konstatieren können.
Das einzige Beispiel, über das ich verfüge, will ich
gleich mitteilen. Ein an Pseudoepilepsie, d. h. an hysterischen
, fälschlich für Epilepsie gehaltenen Anfällen leidender
Mann tritt taumelnd in mein Zimmer, wankt auf ein
Fauteuil zu und verliert das Bewußtsein. Er kommt bald zu
sich und überreicht mir einen Traum, den er in der letzten
Nacht geträumt hat:
(575.) „Ich komme ins Zimmer vod Dr. S t e k e 1. Dort sehe
ich einen Mann in einem Sessel, der eineu epileptischen Anfall
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1913/0161