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164 Psychische Studien. XXXX. Jahrg. 3. Heft. (März 1918.)
schieunigte er seine Schritte und drängte den Sänger der Laura
sanft zurück, der ihn aufmerksam betrachtete und an der Blässe
des blutlosen Gesichts jetzt erkannte, daß er tot war. Bei diesem
Anblick schrie Petrarca laut auf und fuhr erschreckt aus dem
Schlafe; er merkte sich den Tag, erzählte Freunden und schrieb
an Abwesende von diesem Traum. 25 Tage waren vergangen, da
bekam er die Nachricht vom Tode des Bischofs Colonna, der gerade
in derselben Nacht eingetreten war, in welcher er durch die
traurige Vision erschreckt wurde." Dieser Freund , über dessen
Ergehen Petrarca ungewisse Nachrichten erhalten hatte, befand
sich zurzeit des beschriebenen Traumes als Bischof von Lombez
in der Gascogne."
„Die andere Tatsache von Traumtelepathie entnahm ich den
Schriften des JohannMestica, der einen sonderbaren Traum
Josef Garibaldis an Bord der „Carmen" folgendermaßen
erzählt: „Er fuhr in den ersten Monaten des Jahres 1852 als
Kapitän eines Kauffahrers einmal von Chile nach Asien. Müde
vom Ausguck auf der Kommandobrücke , schläft er ein und hat
einen furchtbaren Traum. Er glaubt, in die Heimat zurückkehrend
, ein Trauergeleit mit einer von schwarzem Tuch bedeckten
Bahre zu sehen. Ihm ist, als werde das Herz ihm
brechen, wenn er nicht hiebt, wer unter dem Tuche liegt. Nach-
denc er sich genähert, hebt er es auf; aber was sieht er? Seine
Mutter, bereits kalt und starr! Und wirklich starb die verehrungswürdige
Frau in Nizza genau an dem Tage und in der
Stunde des traurigen Traumes: es war der 19. März, sein Geburtstag
. Das italienische Volk hat diesen Tag später immer
mit der größten Begeisterung gefeiert, Garibaldi aber als Unglückstag
niemals. Erzählt uns nicht Dante ia der „Vita
nuova" einen ähnlichen Traum, die Vision eines Jünglings, der
ihm den Tod seiner Beatrice ansagte ? Hätte Garibaldi im
14, Jahrhundert gelebt und wäre den Nachfahren sein Traum
übermittelt worden, wie viele würden ihn heute nicht eine Erfindung
nennen ? Doch war er so wahr, daß Garibaldi noch
immer ganz erschüttert wurde, wenn er ihn nach vielen Janren
vertrauten Freunden erzählte und mit dem Auwruf schloß: „O
geht mir, wenn ihr sagt, es gäbe keine Seele." "
(„Die Träume" von Dr. Sante de Saitctis.)
Genug des telepathischen Materials! Ich wollte in
einer zusammenfassenden Besprechung des Traumlebens
diese Form der Träume nicht unbesprochen lassen. Jch
wäre Kollegen sehr dankbar, wenn sie mir von sicheren
Zeugen bestätigte telepathische Träume mitteilen würden.
Für die Technik der Traumdeutung kommen die tele-
pathischen Träume kaum in Betracht. 'Wir werden den
telepathischen Einfluß als eine der Traumquellen unbedingt
anerkennen müssen. Die telepathischen Träume nehmen eine
Ausnahmsstellung ein. Sie stehen nicht allein im Dienst«*
der unbewußten Gedankenarbeit. Sie sind keine reinen
Wunscherfüllungen oder sie sind es nur insofern, als ja der
Wunsch, vom Tode lieber Verwandten zu hören, im Unbewußten
eine ungeheure Holle spielt. Der Wunsch und
sein Gegenspiel: die Angst.
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