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Kaindl: Die mystische Psyche ein Doppel-Wesen. 213
Myers' Werk ist es nun, das nötige Beweismaterial hierfür
beizubringen und zu erläutern. Man wird zugeben müssen,
daß ihm dies, wenn auch nicht vollständig, doch der Hauptsache
nach gelang und daß die von ihm aufgeführten Tatsachen
von großer Wichtigkeit und Tragweite sind. Um
mich kurz zu fassen, scheinen sie mir zu beweisen, das
Etwas von uns den Tod überdauert. Sie scheinen mir anzudeuten
, daß nach dem Tode des Körpers ein mehr oder
minder zusammenhängender Komplex von Erinnerungen
übrig bleibt, welcher dem subliminalen Selbst gewisser
lebender Personen zugänglich ist. Was mir bis jetzt unmöglich
war, zu erkennen, ist, daß dieser Komplex einen
solchen Zusammeahang besitzt, um als Persönlichkeit aufgefaßt
werden zu können, oder daß er mit kontinuierlichen
Lebensvorgängen in fester Verbindung steht, um
uns zu berechtigen, das Leben in der geistigen Welt als
eine ununterbrochene Fortsetzung des irdischen Lebens zu
betrachten. Die Tatsachen scheinen uns vielmehr auf eine
andere Vermutung zu führen, welche wenigstens die Analogie
für sich hat und die ihren Ursprung in der Erwägung
hat, daß, wie der physische Körper nach dem Tode sich
nur allmählig in seine Elemente auflöst, auch der geistige
Leib eine Zeitlang einen gewissen Zusammenhang bewahren
könnte, was jedoch kein Beweis von einem Fortbestand
des Lebens wäre. Unter gewissen Umständen kann der
physische Leib sich so gut konservieren, daß es uns noch
nach Jahrhunderten möglich ist, anzugeben, wie der be-
treffende Mensch bei leiten ausgelehen hat. Es ist
nicht ausgeschlossen, daß es sich mit dem geistigen Leib
ebenso verhält. Es kann einen Auflösungsprozeß geben,
der unter uns unbekannten Bedingungen bedeutend variiert;
und es mag besonders beanlagten Personen möglich sein,
mit dem sich successive auflösenden Geiste in Fühlung zu
bleiben, und uns mit mehr oder weniger Ausführlichkeit
Kunde zu geben, was der geistige Mensch während seines
Lebens war.
Selbst wenn wir über dieses nicht hinausgehen, haben
wir schon einen gewaltigen Schritt getan. Jedenfalls wurde
der große Abgrund überbrückt, und mit einem Fuße auf
der anderen Seite bietet sich uns die Möglichkeit unbekannte
Reiche zu erforschen. Und selbst dann, wrenn
wir zögern zu folgern, dürfen wir einen Mann wie Myers,
der den Mut gehabt hat, uns in diese neue Welt einzuführen
, nicht tadeln. Hingegen müssen wir uns das
Eecht wahren, unseren ersten Schritt sorgfältig prüfen zu
dürfen, bevor wir einen zweiten wagen.
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