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Hänig: Das Christusproblein des Okkultismus.
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(Logoslehre usw.), über das Jenseits (Himmel und Hölle z. ß.
in der Petrusapokalypse), über philosophische (Apologeten),
besonders ethische Dinge (im vierten Evangelium scharfe
Betonung der Knechtschaft, die in der Sünde liegt 8,34 und
der Freiheit, die aus der Wahrheit folgt 8,32 nach der Stoa),
eine Beeinflussung, die besonders bei der Berührung mit
dem Neuplatonismus die Kirche vorübergehend in die größte
Gefahr gebracht hat.*)
Für das Material, das uns für die Kenntnis des Lebens
Jesu vorliegt, ist also dreierlei nicht ohne weiteres verwendbar
, sofern nicht andere Kriterien dafür sprechen. Zunächst
alles, was wir an religiösen und philosophischen Anschau-
*) Anm. Dazu gehören natürlich auch manche von den in
der nächsten Anm genannten Vorstellungen, obwohl wir nicht
überall genau die Herkunft erkennen können. Die Logoslehre
zu Anfang des vierten Evangeliums entspricht der Auffassung
Philo's von Alexandria, der bekanntlich versuchte, die hellenistische
Philosophie mit den Anschauungen des Judentums zu verschmelzen.
Da diese auf Plato zurückgeht und dessen Gott, bezw. die Ideen
in ewiger Ruhe verharrten und daher mit der Welt keine Gemeinschaft
haben konnten, erfand man dafür Mittelwesen, die im platonischen
Sinne die Urbilder der irdischen Dinge darstellten, im
stoischen die wirkenden Ursachen und Kräfte, die die Materie gestalteten
und regierten. Die Zusammenfassung und Wurzel dieser
Aoyoi war der Aöyoq, die Summe der Urbilder und der Inbegriff
der göttlichen Kräfte, daher auch die Vernunft, die in Gott ruht
und aus ihm ins Tageslicht tritt und als solche von dem vierten
Evangelisten mit Christus identifiziert wird (J. Weiß : „Die Schriften
des neuen Testaments", neu übersetzt und für die Gegenwart erklärt.
Göttingen 1907, II, 716 ff. M. Heinze: ,,Der Logos in der griechischen
Philosophie") Die Anschauung, daß auf das irdische
Leben (sofort nach dem Tode) entweder Himmel
oder Hölle folge, ist zuerst in Griechenland im Anschluß an
die eleusinischen Mysterien ausgebildet worden (ursprünglich konnte
jeder Geweihte der Seligkeit teilhaftig werden, später nur die Guten,
da nur sie zu den Weihen zugelassen wurden); sie wurde wahrscheinlich
schon vor der Zeit Jesu in Judäa eingeführt und ist
später im Christentum zur herrschenden geworden, obwohl sie mit
den Grundanschauungen seines Stifters völlig im Widerspruch steht
Erst die spätere katholische Kirche hat im Anschluß an Augustin
wieder eine Art Mittelstufe geschaffen, ohne sich von der speziell
im Judentum ausgebildeten Anschauung von einem letzten Gericht
über die Menschen, das dann natürlich unnötig ist, losmachen zu
können. — ,,Bei allen Apologeten bildet die stoische Lehre fast
allein, nur wenig mit der platonischen vermischt, einen gewissen
Untergrund des Vernünftigen, auf denen sich das Unvernünftige
des Glaubens erhebt" (P. Barth: „Die Stoa," S. 253): noch
Augustin's Kosmologie ist wesentlich platonisch, während seine
Erkenntnistheorie, Teleologie und Theodicee sich an die Stoa anlehnt
. Welche Rolle Aristoteles später in der Dogmatik der
katholischen Kirche gespielt hat, dürfte jedem, der die
Scholastik kennt, genügend bekannt sein.
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