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Hänig: Das Christusproblem des Okkultismus. 281
dings läßt sich auch so noch zu keiner Sicherheit gelangen
es ist von vornherein wahrscheinlich, daß manche von diesen
Zutaten, die wir eben kennen gelernt haben, auch späterhin
beiden anderen, Matth, n. Luk.) in irgendeiner Weise abhängig sind,
zeigt die Tatsache, daß diese beiden Evangelien vielfach Berichte
des Markusevangeliums in vergröberter oder erweiterter Form wiedergeben
(Markushypothese); dazu sollen Matth, und Luk. noch eine
Redequelle benutzt haben, die von A. Harnack rekonstruiert worden
ist. Für die Tendenz der Evangelien ist es natürlich von Wichtigkeit
zu wissen, welchem Interessenkreise ihre Verfasser angehört
haben: das Markusevangelium gibt sich schon in dem Titel als eine
Niederschrift der in den heidnischen Gemeinden verkündeten
Missionsbotschaft (J. Weiß, Bibelwerk, I, 36); der Verfasser des
ersten Evangeliums ist ein Judenchrist, während das dritte auf
einen Heidenchristen als Verfasser weist. Für die Abhängigkeit
des Matthäusevangeliums von dem des Markus vgl. Stellen wie Matth.
8, 16: Mark. 1, 32; Matth, 14, 21: Mark. 6, 31; Matth. 16, 16: Mark.
8, 29 (Messias-Bekenntnis); Matth. 24, 15; Mark. 13, 15 (Greuel der
Verwüstung); Matth. 4, 12: Mar«:. 1, 14; Matth. 21, 2: Mark. 11, 2
(der Prophet mit 1 Tier, Matth, läßt bei dem Einzüge Jesn in Jerusalem
2 holen); Matth. 26, 15: Maik. 14, 11 (bei Mark, sind es nur
Silberlinge, Matth, hat aus Sacharja die genaue Zahl entnommen);
Matth. 27, 34: Mark. 15. 23 (bei Matth, aus Psalm 69, 22 ergänzt);
Matth. 19: Mark. 10 (Ehescheidung); Matth. 19, 17: Mark. 10, 18.
Dasselbe betrifft das Verhältnis des Matth, zu Luk., der im übrigen
vielfach mildert und verfeinert: große Einschaltung des* Luk. in die
Bergpredigt 9, 50 bis 18, 15; dazu Mark. 1, 30: Luk. 4, 38; Mark.
2, 21: Luk. 5, 36 (Steigerung der Torheit dieses Verfahrens); Mark.
9, 2 ff.; Luk. 9, 32 (Verklärungsgeschichte); Mark. 14, 32 bis 41 :
Luk. 2?, 39 bis 45 (der Bericht vom Kampfe Jesu im Garten Gethsemane
ist von Luk. verfeinert); Mark. 1, 13: Luk. 4, 13 (Versuchungsgeschichte
); Mark. 15, 20 ff.: Luk. 23, 26 ff. (Kreuzesworte).
Ueber die übrigen Stellen s. die betr. Einleitungen vor den Evangelien
bei J. Weiß (Bibelwerk). Bemerkt sei übrigens noch, daß
die Zusätze, die Mark, gegenüber den anderen hat (Namen wie
Barthimäus Jairus, Simon von Cyrene, Zahlen 5, 6; 10, 15; 10, 17;
dazu Aramäismen, Steigerung des Pathos I, 41; 3, 5; 10, 14; 7, 34)
in diesem Falle aus einer doppelten Rezension des Markusevangeliums
erklärt werden; der uns vorliegende Bericht ist der später erweiterte,
während der ursprüngliche, der bei jener Abhängigkeit in Betracht
kommt, an einigen {Stellen kürzer war als der uns vorliegende. —
Da* Evangelium nach Johannes an historischem Wert und Alter
den drei ersten an die Seite zu stellen, ist heute nur noch bei
gänzlichem Mangel an philologischer Kritik möglich; wer noch
heute gleich die ersten Kapitel für einen historischen Bericht hält,
dem ist nicht zu helfen und er ist für die historische Kritik endgültig
verloren Der Verfasser dieses Evangeliums, der schon durch
seinen Stil zeigt, daß er gar keinen historischen Berieht im engeren
Sinne geben wollte, sieht in Jesus nur noch einen Zauberkünstler,
der aller Sphäre des Menschlichen gänzlich entrückt ist (er ist ja
der „Lojros!") und nur noch ganz Erhabenes redet; alles Beweise dafür,
daß er mit dem historischen Jesus in keiner Verbindung mehr stand,
sondern nur die eine Seite von ihm, die rein ideale, weiter ausgebildet
hat. Daher auch gleich zu Anfang die Identifizierung mit
dem stoischen Logos, über den schon im Vorhergehenden gehandelt
worden ist.
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