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290 Psychische Studien. XXXX. Jahrgang. 5. Heft. (Mai 1918.)
Keinen seiner Hörer in die seiner Schüler geführt, und als
Mann von 72 Jahren preise ich es als Glück und Gnade,
daß es mir am Ende meines gegenwärtigen Erdenlebens
beschieden gewesen ist, unter seiner Führung zu neuen
< iuellen der Erkenntnis gelangt zu sein, die es mir ermöglicht
haben, eine Bestätigung dessen zu gewinnen, was mir
einst als eine zwar schöne, aber unbeweisbare Hypothese
in seinen Vorträgen erschienen ist.
Dazu würde unter anderem auch die Lehre von den
zwei Jesusknaben zählen; und dennoch muß ich nach
meiner heutigen Auffassung sagen, daß dieselbe nicht
minder berechtigt ist, als die vielen anderen Hypothesen,
die von wissenschaftlicher Seite über die hohe Wesenheit
des Christus Jesus aufgestellt worden sind. Hat denn etwa
die Theologie die Widersprüche aufzuklären vermocht, die
In dem Geschlechtsregister des Matthäus- und des Lukas-
Evangeliums herrschen? lTnd wie schwankend ist im Urteil
unserer Zeitgenossen überhaupt das ganze Bild dieser
Wesenheit, die einer fast zweitausendjährigen Entwickelung
der Menschheit den Stempel aufgedrückt hat!*)
Wenn nun auch der Okkultismus zu der vielumstrittenen
Frage nach der Grundlage des Christentums
Stellung nimmt und die hellseherisch gewonnenen Ergebnisse
meiner Forschung mitteilt, so kann dies nur förderlieh
für die Erkenntnis der Wahrheit sein. Sind diese Ergebnisse
falsch, können sie sachlich widerlegt werden, so wird
das durch di*> dem Okkultismus entgegenwirkenden Geistesströmungen
sicherlich geschehen; aber nicht recht verständlich
ist es mir, daß gerade eine Zeitschrift wie die „Psych.
Studien", die sonst so unerschrockene Bekennerin der Tatsächlichkeit
okkulter Fähigkeiten ist, sich veranlaßt finden
kann, die auf der Grundlage des Hellsehens beruhenden
Lehren Steiner's a priori**) als „verworren" und „phantastisch
" zu bezeichnen.
*) Man vergl. hierüber die mit diesem Heft beginnende lichtvolle
Studie yoii H. H ä n i g über das Christusproblem. — Red.
**) Keineswegs „a priori", sondern „a posteriori", nachdem Herr
Dr. W. Bormann im Dea.-Heft 1911 der ,,Fbers *Welt" in seinem
Leitartikel: „Wohin noch geht das?'1 das Phantastische die.^er
Theorie in einer mich überzeugenden Weise nachgewiesen hatte,
bah ich mich veranlaßt, mich diesem lauten Protest anzuschließen
^vgl. „P>sych. Studien", Aug.-Heft 1912, K. Not b). Andererseits bin
ich freilich von Natur und nach langjährigem Studium zu skeptisch
veranlagt, um ohne kritische Nachprüfung, bezw. im Widerspruch
mit als sicher geltenden Ergebnissen der empirischen Wissenschaften
eine durc i Helischau angeblich geoffenbarte Lehre ohne
weiteres zu glauben, zumal, wenn sie, wie das bei den SteinerVhen
Theorien vielfach der Fall zu **ein scheint. a posteriori überhaupt
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