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334 Psychische Studien. XL. Jahrg. 6. Heft. (Juni 1913.)
Freilich kommt man auch hier nicht ohne Einschränkung
aus: gerade die Worte Jesu, soweit sie sich nicht auf ethische
Dinge bezogen, waren leicht in Gefahr, gelegentlieh verändert
zu werden, was deutlich daran zu erkennen ist, daß nicht
einmal das sog, Herrengebet unverändert gelassen wurde.
Schwieriger war das schon bei den Gleichnissen, obgleich
auch hier gewisse Änderungen vorgenommen wurden. Freilich
ist dabei eins zu bedenken: es sind eben Gleichnisreden,
die nicht ohne Weiteres wörtlich anf Jesu Anschauungen
übertragen werden können; nur mit Vorsicht kann auch hier
das entnommen werden, was für unsere Zwecke dienstbar
sein kann Allerdings sind die Gleichnisse schon von der
nächsten Generation anders gedeutet worden, wie einige
Stellen der Evangelien selbst (Matth. K>, 11) —15, Mark. 4,
10—13, Luk. 8, 9, 10) zeigen. Man verstand sie (ähnlich
wie die Briefe Plato's) als Rätselworte, die Jesus dem Volke
zum besten gegeben habe, um sie später seinen Jüngern
insgeheim aufzulösen, — eine unmögliche und unwürdige
Auffassung dieser schlichten Reden, die allerdings auch in
der Gegenwart noch ihre Vertreter zu haben scheint. Denn
die Gleichnisreden Jesu, die an das jüdische Maschal
anknüpfen (cfr. A. Jü 1 icher: „Die Gleichnisreden Jesu"/,
beruhten doch eben in ihrer klaren Einfachheit darauf, daß
die Lebenserfahrungen und Beobachtungen, die in ihnen
ausgesprochen waren, ein jeder von sich aus sofort bestätigen
mußte: — nur eine spätere Zeit mit ihren theologisierenden
und allegorisierenden Tendenzen, wie sie leider Markus schon
zeigt (das ganze Leben Jesu ist ihm ein Geheimnis, das
dem Volke vorenthalten ist) konnten sie auf diese Weise
mißverstehen.
Wir haben also damit diejenigen beiden Kriterien gewonnen
, an die auch heute noch jede ernsthafte Forschung
über das Leben Jesu, wenn auch mit Vorsicht, anknüpfen
muß: die Reden und Gleichnisse. Man findet hier überall
zwei Gesichtspunkte: einen ethischen und einen teleologischen
Inhalts. Teleologisch insofern überall, besonders in
den Gleichnissen (das Reich Gottes ist gleich . . .) von
einem Gottesreich geredet wird, das kommen soll, ohne
daß sich Jesus überall näher darüber ausdrückte; ethisch,
insofern mit Rücksicht auf dieses Ereignis die bisherige
Ethik der Juden einer gründlichen Kritik unterzogen wird.
Die Menschen müssen bis dahin ganz anders werden, wenn
sie an diesem neuen Reiche Teil haben wollen. Diese
beiden Gesichtspunkte sind tatsächlich die einzigen, die bei
Jesus immer wiederkehren, bald in den Reden, bald in den
Gleichnissen, teleologisch sind fa^t alle Gleichnisreden,
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