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336 Psychische Studien. XL. Jahr». 6. Heft. (Juni 1913.'
essen und trinken solle, bald ist es nur etwas Innerliches
und schon da, -- bald igt er der Messias schon auf Erden,
bald soll er auf den Wolken des Himmels zur Erde kommen,
um jenen neuen Zustand herbeizuführen. Und dann heißt
er die Jünger über seine Messianität schweigen, während er
doch als „Menschensohn* die Sünden vergibt und Kranke
heilt, — wie ist das alles aufzufassen?
E^ ist ersichtlich, daß ein Gedanke wie der vom kommenden
Reiche Gottes nicht erst in dem Denken Jesu entstanden
sein kann. Man wird daher auch die Widersprüche,
die sich hier ergeben, in den Vorstellungen suchen, die
schon vor Jesu Zeit in dem jüdischen Volke vorhanden
waren. Dazu wird man auch hier schon etwas zu suchen
haben, das ebenfalls bei Jesu vorhanden ist: die enge Verknüpfung
der Messiasvorstellung mit dem Kommen des
Reiches Gottes, das Gott nur durch ihn, seinen Gesalbten,
auf Erden aufrichten sollte. Tatsächlich finden sich alle diese
Begriffe schon längst im jüdischen Volke und müssen daher
von un* erwähnt werden, um von da aus das Leben Jesu
besser verstehen zu können. Schon lange vorher hatte die
Hoffnung, daß sich das zertrümmerte Reich dieses merkwürdigen
Volkes einstmals wiedei erheben werde, zu kühnen
Erwartungen geführt: man glaubte, daß ein von Gott Begnadeter
das Reich DavicPs wieder aufrichten würde, und
war immer zu Aufständen bereit gewesen, wenn sich solche
kühne, wie sie ja noch im 2, Jahrhundert nach Christi Geburt
Ben Kochba) aufstanden, erhoben hatten. Diese Hoffnung
hatte, je ungünstiger die Zeiten geworden waren, immer
phantastischere Formen angenommen: aus dem politischen
Helden war zugleich ein religiöser geworden, wie besonders
das Danielbuch zeigt, das zur Zeit der Fbergriffe des An-
tiochus Epiphanes gegen die Juden geschrieben ist: aus den
Wolken des Himmels* sollte in allernächster Zeit
dieser Held kommen, und die Toten sollten wiederaufstehen,
die bis dahin geschlummert hatten. Eine neue Zeit sollte
anbrechen, in der das jüdische Volk über die Völker herrschte,
und in seiner Mitte jene Gestalt, die die Phantasie hervorgebracht
hatte. Der Verfasser des Danielbuches hatte sich
freilich damit verrechnet, während er die Zeit bis zu jenem
Handstreiche des syrischen Königs seinem Daniel richtig
in den Mund legte, da das doch alles zu der Zeit, als er das
Buch schrieb, ^-chon vergangen war. Das große Ereignis
trat nicht ein, und eine andere Seite trat jetzt an dieser
Gestalt hervor, die schon durch Jeremia und den Verfasser
des letzten Teiles des Jesaiabuches ausgebildet war: nicht
mehr eine politische Erneuerung des Volkes erwartete man
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